130 Jahre Städtisches Krankenhaus

Portraitfoto Dr. Walter Kauert
Dr. Walter Kauert (WN-Archiv/Kopetzky)

 

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Der 1. Juli 1975 ist ein besonderes Datum in der Weinheimer Krankenhaus-Geschichte. An diesem Tag wurden die Chefärzte Dr. Erich Graf und Dr. Hugo Schwarz in den Ruhestand verabschiedet und die neuen Chefärzte Professor Dr. Horst Fritsch (Gastroenterologie), Professor Dr. Fritz Kappey (Chirurgie) und Dr. Dieter Thiede (Kardiologie) traten ihren Dienst an. Die Ärzte stehen für zwei große Kapitel in der Stadtgeschichte: den Aufbau eines Städtischen Krankenhauses nach dem Zweiten Weltkrieg und den Übergang zum Kreiskrankenhaus, der r heutigen GRN-Klinik.

Unruhiges Kriegsende

Am 28. März 1945 war für Weinheim der Zweite Weltkrieg beendet. Die Amerikaner hatten die Stadt ohne Gegenwehr eingenommen, setzten Richard Freudenberg als kommissarischen Bürgermeister ein, nahmen ihm aber einen Teil seiner Mitarbeiter in der Stadtverwaltung, weil sie die Entlassung aller, die im „Dritten Reich” beim Militär oder in der Partei eine Funktion hatten, als erstes Ziel verfolgten.  Gleichzeitig aber sollten Krankenhäuser, Seuchenbekämpfung, Feuerschutz und Polizei ihre Aufgaben erfüllen. Das stellte die Stadt vor unlösbare Aufgaben, denn Neubesetzungen scheiterten oft am Misstrauen der Militärregierung und ihrer Weigerung, Einstellungsgenehmigungen zu erteilen.

Portraitfoto Dr. Victoria Kauert
Dr. Victoria Kauert (WN-Archiv/Kopetzky)

Einen Eindruck von der allgegenwärtigen Hilflosigkeit jener Tage vermittelt die Erinnerung an den ersten Chefarzt des Städtischen Krankenhauses, Dr. Walter Kauert. Er war am 10. April 1945 in der Heidelberger Chirurgie verstorben. Seine Frau, Dr. Victoria Kauert, hatte ihn während seines Kriegseinsatzes als Oberstabsarzt zwischen 193941 und 1945 als Chefärztin in Weinheim vertreten. Sie konnte in seiner letzten Stunde nur bei ihm sein, weil ihr Richard Freudenberg als Bürgermeister einen Passierschein ausgestellt hatte, ohne den niemand die Stadt verlassen durfte. Frau Kauert fuhr mit dem Fahrrad nach Heidelberg – eine andere Verbindung gab es nicht. Für die Heimführung Dr. Kauerts nach Weinheim stellte Richard Freudenberg einen Kutscher und Pferde für den Leichenwagen zur Verfügung. Die Beerdigung musste in kleinem Rahmen stattfinden, weil die Amerikaner ängstlich darauf achteten, dass sich auf dem Friedhof nicht zu viele Menschen versammelten.

Dr. Walter Kauert war 1918 nach Weinheim gekommen und hatte die nach dem Kriegstod von Dr. Hans Karrillon verwaiste Praxis des Ehrenbürgers Dr. Adam Karrillon übernommen. 1919 wurde ihm die Chefarzt-Stelle im Städtischen Krankenhaus übertragen. Mit seinem Tod verwaiste auch sie, denn Dr. Victoria Kauert wurde aus der Vereinbarung mit der Stadt entlassen.

Das Gutleuthaus

Erst ein Jahr später konnte die Chefarzt-Stelle wieder besetzt werden. „Mit Genehmigung der Militärregierung” übernahm am 15. April 1946 Dr. Erich Graf die Leitung des Städtischen Krankenhauses Weinheim, in dem damals 82 Betten standen, in Gebäuden, die zum Teil bereits 1896 gebaut worden waren, als sich auf dem Gelände des ehemals Bohn’schen Hofs ab 1861 ein bescheidenes Krankenhaus entwickelte: als Nachfolger der Armenspitäler, in denen die Alten und Gebrechlichen Zuflucht gefunden hatten, von freiwilligen Helfern betreut und auch bei Krankheiten versorgt. Seit dem Ausbruch des Aussatzes und dem Ende der Kreuzzüge im 12./13. Jahrhundert gab es außerhalb der ummauerten Stadt das Gutleuthaus. Die Gutleuthausstraße in der Nordstadt erinnert daran.  Es wurde 1368 erbaut für alle Aussätzigen, arm oder reich, die fortan ihr Leben hier verbringen mussten. Für die Versorgung ihrer Kranken stifteten die Angehörigen Äcker, Wiesen, Weinberge und Häuser und so entstand im 14. Jahrhundert der Gutleuthaus-Almosenfonds, der Jahrhunderte lang die Grundlage der Armen- und Krankenversorgung in Weinheim war. Nach zwei Geldentwertungen löste ihn der Gemeinderat 1948 auf.

In den Ratsakten ist von einem Krankenhaus erstmals 1853 die Rede. Bis dahin lag das Gesundheitswesen über viele Jahrhunderte im Argen, denn Unterbringung und Versorgung Kranker galten nicht als städtische Aufgaben: Wohlhabende konnten für sich selbst sorgen, Arme mochten Mildtätigkeit in Anspruch nehmen, etwa aus dem Ratsalmosenfonds. Das 1861 eröffnete Krankenhaus scheint von Anfang an nicht ausreichend für die Krankenversorgung gewesen zu sein, denn 1886 wurde „die nicht mehr aufschiebbare Erweiterung” gefordert. Sie erfolgte 1893 mit dem Bau eines Küchengebäudes, einer Isolierabteilung und des Pfründnerhauses. In der Dienstzeit von Dr. Kauert änderte sich an der ewigen Raumnot wenig.

Die Ära Graf

Portraitfoto Dr. Erich Graf
Dr. Erich Graf (WN-Archiv/Kopetzky)

Beim Dienstantritt von Dr. Erich Graf 1946 fehlte es auch im Krankenhaus nahezu an allem. „Sogar die Gipsbinden mussten wir selbst herstellen” erinnerte sich Dr. Graf später einmal an die Zeit, die sich die mit der modernen Apparate-Medizin aufgewachsene heutige Generation kaum vorstellen kann. Dr. Grafs Arbeitstag musste auch deshalb meist 16 Stunden umfassen, die Arbeitswoche volle sieben Tage. 45.000 Operationen hat der im Theresien-Krankenhaus von den Folgen der Bombenangriffe auf Mannheim geprägte Chirurg in seiner Weinheimer Zeit zwischen dem 15. April 1946 und dem 30. Juni 1975 durchgeführt. Als der Edesheimer Winzersohn 1975 aus dem unter seiner Regie auf 272 Betten erweiterten Städtischen Krankenhaus ausschied, erinnerte er sich dankbar auch an zwei amerikanische Gesundheitsoffiziere, die trotz Fraternisierungsverbot Penicillin und Verbandsstoff beschafften und für den ersten Operationstisch sorgten. Sich selbst hat Dr. Graf, der zunächst für alle stationären Fälle außerhalb der im Belegsystem betriebenen Gynäkologie zuständig war, über Jahre der einzige Facharzt war und lang ohne Oberarzt arbeiten musste, nie in den Vordergrund gestellt: „Wir haben uns bemüht, unser Bestes zu tun” waren Dr. Grafs bescheidene Abschiedsworte vom Städtischen Krankenhaus, die er für alle Mitarbeiter der Klinik sprach. Kurz nach seinem 75. Geburtstag erlag Dr. Erich Graf im November 1984 einem schweren Leiden. Die Entstehung und Eröffnung des neuen Weinheimer Krankenhauses am Jahresende 1990 durfte er nicht mehr erleben.

Dr. Hugo Schwarz
Dr. Hugo Schwarz (WN-Archiv/Kopetzky)

Das war Dr. Hugo Schwarz vergönnt. Der erste Chefarzt der 1958 mit 45 Betten neu eingerichteten Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses durfte sogar die ärztliche Hilfe seines Nachfolgers Professor Dr. Horst Fritsch im neuen Kreiskrankenhaus in Anspruch nehmen. Im Februar 1999 starb Dr. Schwarz, vier Wochen nach seinem 90. Geburtstag. Auch Dr. Schwarz, erst 1951 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft im Ural und in Sibirien heimgekehrt, startete am 1. März 1958 ohne ärztliche Mitarbeiter und arbeitete noch einige Jahre ohne Oberarzt am Aufbau und an der erfolgreichen Entwicklung „der Inneren”, die sich bis zu seinem Ausscheiden 1975 von 2.837 auf 5.505 Jahrespatienten und zur größten Abteilung im Städtischen Krankenhaus entwickelt hatte. „Unter den Bedingungen eines zumeist überbelegten Hauses mit komplizierten Wegen zwischen Uralt-, Alt- und Neubauten und ewigen Baustellen haben wir doch einiges geleistet”, meinte der bescheidene Internist 1990 im WN-Gespräch.

Großsanierung oder Neubau?

Das städtische Krankenhaus (WN-Archiv/Kopetzky)
Gebäude aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert machten den Komplex des Städtischen Krankenhauses aus, das vor 160 Jahren am Grundelbach bescheiden begann. Alle Erweiterungsbauten aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg lösten nicht die Raumprobleme der Klinik (Aufnahme von 1979. Bilder: WN-Archiv/Kopetzky)

Begleitet wurden die Bemühungen der Krankenhausärzte um ihre Patienten aus Weinheim, von der badischen Bergstraße und aus dem hessischen Odenwald (31 %) ab den ausgehenden 1950-er Jahren von den Diskussionen im Gemeinderat und im Kreistag des alten Landkreises Mannheim, denn auch die erste Erweiterung 1954 konnte die Raumprobleme am Grundelbach nicht dauerhaft lösen, auch die drei weiteren Erweiterungsbauten nicht. Die Frage „Großsanierung oder Neubau? ” beherrschte ab den 1960-er Jahren die kommunalpolitische Diskussion und dabei spielte auch die Standortfrage für einen Neubau stets eine Rolle. Zunächst lagen der Michelsgrund und die Schnepfenäcker östlich vom „Waldschloss” mit ihren klimatischen Vorteilen vorne, doch dann überwog die entscheidend bessere Verkehrsanbindung des Areals im Weststadt-Gewann Hammelsbrunnen, dem heutigen Standort der GRN-Klinik.

Von der Kreisreform gestoppt

Im Dezember 1969 beschloss der Mannheimer Kreistag einstimmig den Neubau eines Kreiskrankenhauses in Weinheim: mit 330 Betten und Baukosten von 35 Millionen DM, Baustart 1973 und dreijähriger Bauzeit. Doch darauf konnte der Weinheimer Gemeinderat angesichts der immer bedrückender werdenden Raumprobleme im Städtischen Krankenhaus nicht warten. Deshalb nahm er nochmals 4,2 Millionen DM in die Hand zur Umwandlung des ehemaligen Gasthauses „Zum Rebstöckl” in ein Schwesternwohnheim, Verbesserungen in der jungen gynäkologischen Abteilung und zur Erweiterung des Bettenbaues. Am 28. Dezember 1972 wurden die Erweiterungsbauten ihrer Bestimmung übergeben. Landrat Albert Neckenauer brachte dazu ein besonderes Geschenk mit: den vom Deutschen Krankenhaus-Institut (DKI) in Düsseldorf entwickelten Entwurf eines Betriebs- und Bauprogramms für das in Weinheim geplante neue Kreiskrankenhaus, dämpfte aber voreilige Hoffnungen auf eine nahe Realisierung, denn die Kreisreform, aus der der heutige Rhein-Neckar-Kreis hervorging, hatte bereits deutlich gemacht, dass im neuen Großkreis 1.000 Krankenhausplätze fehlen. Das erweiterte Städtische Krankenhaus Weinheim werde noch „einige Jahre“ seine Aufgabe erfüllen müsse, ehe das neue Kreiskrankenhaus gebaut werden könne, sagte der künftige Landrat des Großkreises damals voraus.

Elf Jahre später

Luftbild des städtischen Krankenhauses
Eindrucksvoll präsentiert sich der Rhein-Neckar-Kreis in seiner größten Stadt: mit dem Berufsschulzentrum westlich der Händelstraße und den Gebäuden an der Mannheimer Straße. Die GRN-Klinik (Mitte) wird eingerahmt von dem Bürobau der Außenstelle Weinheim des Landratsamtes (rechts), dem Ärztehaus (links daneben) und dem GRN-Betreuungszentrum (links), das inzwischen das alte Kreispflegeheim ersetzt (Luftbild: Wolf-Rüdiger Pfrang)

Die weitere Entwicklung bestätigte Neckenauer: erst am 25. April 1986 konnte er zusammen mit Oberbürgermeister Giießelmann den ersten Spatenstich für das neue Kreiskrankenhaus vollziehen. Damit endeten auch die Debatten um eine Großsanierung, die letztlich 36 Millionen DM teuer geworden wäre, ohne die Probleme tatsächlich zu lösen. Nach vier Jahren Planung und dreieinhalb Jahren Bauzeit wurde das neue Kreiskrankenhauses Weinheim am 5. Dezember 1990 von Landrat Dr. Jürgen Schütz seiner Bestimmung übergeben: als Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit 230 Planbetten und Fachabteilungen für Gastroenterologie, Kardiologie, Chirurgie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Intensivpflege und Anästhesie. Mit 83 Millionen DM Baukosten war es das teuerste Einzelprojekt des jungen Kreises geworden.

Nach dem 31. Dezember 1990 gab es kein Städtisches Krankenhaus Weinheim mehr. Der Umzug von der Grundelbachstraße zur Röntgenstraße fand im Rahmen einer Katastrophenschutzübung mit DRK und Technischem Hilfswerk statt. Heute ist das Kreiskrankenhaus Weinheim, wie die ehemaligen Kreiskrankenhäuser in Schwetzingen, Eberbach und Sinsheim, Teil des 2006 gegründeten GRN-Gesundheitszentrums Rhein-Neckar. Seit 2010 trägt das Haus den Titel „GRN-Klinik Weinheim”. Auf dem Areal des einstigen Städtischen Krankenhauses entstand die Schlossberg-Bebauung.
www.wnoz.de, 2025)