Dankbare Erinnerung: AWO-Kindererholung in den Hungerjahren

Glücksgefühl: Acht Pfund zugenommen!

von Heinz Keller

Weinheim. Die Arbeiterwohlfahrt, einer der großen deutschen Wohlfahrtsverbände, erinnert sich in diesem Jahr an ihre Gründung am 13. Dezember 1919 als „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD” durch Marie Juchacz, eine der ersten Frauen in der gerade gewählten Nationalversammlung. Auch im Ort- verband Weinheim wurde der 100. Geburtstag des Bundesverbandes bereits gewürdigt (wir berichteten). Gerade in den bevorstehenden Sommerferien darf die Weinheimer AWO mit Stolz auf die lange Geschichte ihrer örtlichen Kindererholung auf dem Judenbuckel zurückzublicken, eines der zahlreichen segensreichen Tätigkeitsgebiete des Ver bandes.

1926 gegründet, 1933 verboten

Im Frühjahr 1926 wurde der AWO-Ortausschuss gegründet, Hauptlehrer Albert Frank wurde sein erster Vorsitzender. 1928 bat der junge Ortsverein um einen städtischen Zuschuss zu einer vierwöchige Erholungsmaßnahme für 20 Weinheimer Arbeiterkinder in Bremen. Sie wurde zum Beginn eines Projekts, dem sich die Weinheimer Arbeiterwohlfahrt jahrzehntelang mit großem Einsatz und nachhaltigem Erfolg widmete. Das Projekt „Örtliche Kindererholung”, später zur Unterscheidung von den überörtlichen Ferienmaßnahmen „Stadtranderholung“ genannt, wurde vor allem nah Ende des 2. Weltkriegs von außerordentlicher Bedeutung für Hunderte von Weinheimer Kindern. Was später ein bisschen spöttisch als „Kohldampf-Bekämpfungsaktion” bezeichnet wurde, war in den Hungerjahren nach 1945 echte Überlebenshilfe.

1946 erste Kindererholung

Im Januar 1946 wurde in einer SPD-Versammlung die Wiedergründung der 1933 von den Nationalsozialisten verbotenen Arbeiterwohl fahrt beschlossen und danach von einer Kommission unter Leitung von Alfred Mentel, damals Verwaltungsdirektor des Kreispflege heims, umgesetzt. Im Mai 1946 trat Mentel zurück und Hauptlehrer Karl Mantz wurde neuer AWO-Vorsitzender. Er schaffte es in schwierigen Verhandlungen mit der amerikanischen Militärregierung, der Stadtverwaltung, den anderen Wohlfahrtsverbänden (Deutsches Rotes Kreuz, Caritas, Evangelisches Hilfswerk) und mit großen Firmen, dass bereits im Sommer 1946 die erste örtliche Kindererholung stattfinden konnte.

800 Kinder wollten daran teilnehmen, aber nur 230 konnten aufgenommen werden. Sie mussten für jede der vier Ferienwochen Lebensmittel marken für 300 Gramm Brot, 30 Gramm Fett, 50 Gramm Fleisch und 50 Gramm Nährmittel abliefern. Weitere 1.300 Kalorien steuerte die Arbeiterwohlfahrt aus amerikanischen Care-Paketen und einheimischen Spenden bei. Nach 24 Tagen auf dem Judenbuckel standen 11,6 Millionen Kalorien unter dem Strich und Gewichtszunahmen bis zu acht Pfund waren keine Seltenheit. Kein Wunder: jedes Kind hatte pro Tag 2.000 Kalorien erhalten. Zu Beginn der Aktion hatten viele ausgehungerte Kinder Kohletabletten erhalten, weil die kleinen Mägen gegen die ungewohnten Essens mengen rebelliert hatten. Doch das nahm man in diesen Tagen gern in Kauf, denn endlich konnten sich die unterernährten Kinder einmal satt essen an Dingen, die ihnen die Mutter zu Hause nicht bieten konnte. Es gab süße Suppen und Pudding, Kakao und Obst neben einem kräftigen Mittagessen. Als ein Jahr später die 235 Teilnehmer an den zweiten Judenbuckel-Ferien den Geiersberg herunterpolterten, hatten sie sogar zwei Dampfnudeln als Abschiedsgeschenk der AWO im Rucksack.

Über Jahrzehnte hinweg prägten fortan die am Morgen den Geiersbergweg hinauf wandernden Kinder das Ferienbild am Judenbuckel, den sie nach einem erlebnisreichen Tag am späten Nachmittag zufrieden wieder verließen. Das gehört zu den wichtigsten Erinnerungen an das Wirken der Arbeiterwohlfahrt in Weinheim.