Weinheim ohne Brauerei – das war beschämend

Eine Bürgerinitiative änderte das

Briefkopf einer Weinheimer Brauerei mit Vogelperspektive auf das Werk.
Die Briefköpfe waren einst die wichtigsten Werbeträger der Unternehmen

von Heinz Keller

Seit 1654 sind in Weinheim Bierbrauer erwähnt. „Ihr Bier wurde jedoch nicht gelobt“, stellte Dr. John Gustav Weiß in seiner 1911 erschienenen „Geschichte der Stadt Weinheim“ fest und berichtete dabei auch von den Bemühungen des Kurfürsten von der Pfalz, den lebhaften Aktivitäten holländischer Bierbrauer in der Kurpfalz – 20 waren allein in Mannheim tätig – mit dem Export pfälzischer Weine in die Niederlande ein Gegengewicht zu verschaffen.

Fünf Brauereien gab’s einmal

Dennoch müssen sich auch die Weinheimer an Bier gewöhnt haben, denn zeitweise gab es hier fünf Brauereien: von 1875 bis 1893 die Brauerei Fitzer an der unteren Hauptstraße, von 1875 bis 1900 die von Friedrich Kinscherf gegründete, dann von J. Schneider, den Gebrüdern Mühlbauer und schließlich von Konrad Mühlbauer in der heutigen „Stadtschänke“ geleitete Brauerei, von 1886 bis 1900 die Brauerei Metz im Anwesen Rick an der Friedrichstraße, in dem heute das Woinemer Bier gebraut wird, von 1875 bis 1893 die „Brauerei zur Krone“ von Jakob Schütz an der Hauptstraße nahe dem Marktplatz (heute Tee Atelier)und schließlich, im gleichen Zeitraum zwischen 1875 und 1893, die Brauerei Philipp Weisbrod im „Badischen Hof“ an der mittleren Hauptstraße (heute Autozentrum Lind),

Eine Bürgerinitiative

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert befand sich Weinheim nach zahlreichen Firmengründungen auf dem Weg zur führenden Industriestadt an der Bergstraße. Da empfand es Bürgermeister Heinrich Ehret „geradezu beschämend, in unserer 12.000 Einwohner zählenden Stadt nicht einmal eine Brauerei zu besitzen“. Des Bürgermeisters Worte fanden Widerhall: 1900 gründeten 20 Handwerksmeister die Bürger-Brauerei Weinheim, in der dann die Brauerei Metz aufging. Zehn Jahre später hatte die GmbH 45 Weinheimer Bürger als Gesellschafter.

Bierkrug des Bürgerbräu Weinheim

Bild: Industriekultur Rhein-Neckar.

Am 1. August 1900 wurde der Mannheimer Architekt Karl Schweikart mit der Planung eines Brauhauses beauftragt, im September wurde der erste Spatenstich auf dem Gelände zwischen Alte Landstraße und Sulzbacher Landstraße (heute Bergstraße) und zwischen Neckarstraße und Hopfenstraße vollzogen. Der Bauplatz war sicher mit Bedacht gewählt worden in der Nachbarschaft von Firmen wie der Gummifabrik Weisbrod & Seifert, der Stuhlfabrik Leinenkugel, der Heidelberger Schulbankfabrik Grauer und der Eisengießerei Keller mit zahlreichen durstigen Mitarbeitern.

Zu Ostern 1901 wurde das erste Bier gebraut und zu Pfingsten 1901 erfolgte die Einweihung der neuen „Bürger-Brauerei“, auch wenn das Gebäude mit der Brauhaus-Gaststätte (später Kantine der Weinheimer Gummiwerke, heute Zahnarztpraxis Dr. Kick) im Erdgeschoss der künftigen Direktorenvilla noch nicht fertig war. Deshalb wurde die Einweihung des neuen Brauhauses in der Wagenparkhalle gefeiert und für Brauerei-Direktor Reinhard gab es viele anerkennende Worte.

Ein hochmodernes Brauhaus

Sehr ausführlich beschrieb der „Weinheimer Anzeiger“ den Rundgang durch Kessel-, Maschinen- und Sudhaus, zur Schroterei, den Hopfen- und Malzräumen, zur Eismaschine und zum Reserve-Eiskeller für Natureis, zur Versand- und Schwenkhalle und zum Stall für die kraftvollen Brauerei-Pferde.

Rundum zufrieden müssen die Einweihungsgäste nach dem Rundgang über 5.079 qm überbauter Fläche gewesen sein, denn die Zeitung berichtete am nächsten Tag von vielfachem Lob für die Weinheimer Bauunternehmer Hopp, Reiboldt und Charbon, die das Gebäude geschaffen hatten, für die Maschinenfabrik Riedinger, die es mit den damals modernsten Brauerei-Anlagen ausgestattet hatte, und natürlich für das neue Weinheimer Bier, das Feuerwehrkommandant Philipp Kinzel als Sprecher der Vereine nachdrücklich pries.

Pilsner hell, Münchner dunkel

Zahlreiche Wirte in Weinheim und Umgebung schenkten die neuen Biere der Bürger-Brauerei aus, hell und dunkel, nach Pilsner und Münchner Art gebraut. Auch in den führenden Weinheimer Hotels „Prinz Willhelm“, „Fuchs’sche Mühle“ und „Vier Jahreszeiten“ stand das Bier auf der Getränkekarte. Es wurde auch auf Flaschen gezogen. Das Glas der braunen Halbliterflasche war mit dem Firmenzeichen geprägt und trug Etiketten mit dem Weinheimer Stadtwappen. Ein halber Liter Bürgerbräu-Pilsner kostete 17 Pfennig, eine Flasche Münchner dunkel 15 Pfennig.

Adressbuchanzeige

Anzeige im Adressbuch

Täglich Freitrunk

25 Mitarbeiter brauten das neue Weinheimer Bier. Im Stadtarchiv wird die Arbeitsordnung von 1907 aufbewahrt. Der Paragraph 21d lautet: „Für jeden ganzen Arbeitstag erhalten, als Freitrunk, Brauer, Küfer, Heizer 5 Liter pro Werktag, Hilfsarbeiter 3 Liter. Das Bier darf nur in der Brauerei getrunken werden und wird in den von der Brauereileitung festgesetzten Zeiten gegen Biermarken, die im Kontor ausgegeben werden, verabfolgt und ist an Sonn- und Feiertagen nur während der Zeit, in welcher gearbeitet wird, zu beanspruchen“.

Braupause von 1920 bis 1987

Bis 1920 wurde an der Hopfenstraße Bier gebraut. Dann ging die Weinheimer Bürgerbrauerei in den Besitz der Heidelberger Brauereigesellschaft „Zum Engel“ über, blieb aber unter ihrem alten Namen weiterbestehen als Verkaufsgesellschaft der Heidelberger Brauerei. Mit dem Verkauf der Engel-Brauerei an den Henninger-Konzern ging auch die Niederlage Weinheim an den Frankfurter Bier-Riesen über, wurde aber bald danach aufgelöst.

Die einstigen Produktions- und Verwaltungsgebäude der Bürgerbrauerei und das Wohnhaus ihres letzten Direktors Adolf Berge sind im Laufe der Jahrzehnte von den Weinheimer Gummiwerken und der Stadt Weinheim übernommen worden. Nach 1920 erfolgte ein Teilabriss. Heute befindet sich das gesamte einstige Brauerei-Areal im Besitz des Einrichtungshauses Amend. Zu dem aus Umbauten, Erweiterungsbauten und Umnutzungen entstandenen Gebäudekomplex gehört auch die Eventfabrik a-zwei.

Die Weinheimer Brauertradition wurde 1987 in der Weinheimer Hausbrauerei wiederbelebt. 100 Jahre nach der Metz’schen Brauerei wurde im Gebäude der ehemaligen Weinkellerei Rick an der Friedrichstraße 1986 die „Gasthaus-Brauerei Weinheim“ gegründet. Wieder, wie 1920, gehörten Handwerker zu den Gesellschaftern neben Zulieferfirmen. Und ähnlich wie in der Brauerei Metz, die ein Sudwerk von 25 Hektolitern betrieb, startete „Woinemer Bier“ mit 25 Hektolitern. Und wie bei der Bürgerbrauerei floss im neuen Weinheimer Brauhaus zu Ostern (1987) das erste Bier.

Blick auf die Direktorenvilla

Das Sudhaus, die Direktoren-Villa mit der Brauerei-Gaststätte um 1910. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Philipp Weisbrods Bierbrauerei zum Badischen Hof

Eine von einst fünf Weinheimer Braustätten im 19. Jahrhundert: Philipp Weisbrods Bierbrauerei zum Badischen Hof an der mittleren Hauptstraße. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Brauerei Metz an der Friedrichstraße

Direkter Vorgänger der heutigen Weinheimer Hausbrauerei war von 1886 bis 1900 die Brauerei Metz an der Friedrichstraße (links). In ihren Räumen war anschließend die Weinkellerei Rick zu Hause. Das Haus rechts im Bild ist der Vorgänger der Sonnen-Apotheke, die einst an der Einmündung der Friedrichstraße in die Bergstraße stand.