Die Geschichte der Delert-Passage

von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Er hat die Windeck gemalt, als sie noch in Trümmern lag, das Müllheimer Tor, als er noch die Stadt und das Müll trennte, den Roten Turm, als er noch Stadtgefängnis war, die alte Klosterkirche und die neue Brücke beim „Pfälzer Hof” und der Alten Post. Er hat Stadtansichten von Weinheim um die Mitte des 19. Jahrhunderts entworfen und er berichtet in zarten Aquarelltönen vom Bender‘schen Institut, das er 18421/43 als Schüler besuchte: Philibert Graf de Graimberg (1832-1895), Sohn des berühmten Sammlers und um die Erhaltung des Heidelberger Schlosses hochverdienten Grafen Charles de Graimberg-Belleau.
Die Aquarelle von Graimbergs berichten in romantischen Ansichten aus einer Kleinstadt an der Bergstraße mit 6.000 Einwohnern, die am Anfang der Industrialisierung stand und sich anschickte, Handelsmittelpunkt für die Region zu werden. Philibert von Graimbergs malerische Darstellungen von Weinheim zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind Zeitzeugen und weil Graimberg ein typischer Vedutenmaler war, hinterließ er uns wirklichkeitsgetreue, topografische Erinnerungen an das Weinheim von gestern.

Zu den 27 Graimberg-Aquarellen im Besitz der Familie und des Unternehmens Freudenberg, die 1999 in einer Ausstellung des Museums Weinheim zu sehen waren, zählt der Blick auf eine Häuserfront an der heutigen Hauptstraße – wie sie sich 1867 darstellte, als de Graimberg die „Benderische Schule” malte. In dem trauseitig zur Hauptstraße stehenden Gebäude wohnten die Familien Bender. Heute befinden sich im Erdgeschoss die Fachgeschäfte Ernestsings family (früher Losert, davor Delert und Braun) und pro optik (früher Elektro-Schütz, davor Schuhhaus Rohr). Das Obergeschoss des Hauses Hauptstraße 94 ist äußerlich weitgehend unverändert geblieben. Das mächtige Nebengebäude dagegen musste dem Geschäftshaus Hessinger weichen. Hier eröffnete Gertrud Hessinger 1892 ihr Fachgeschäft für Strickwaren, Wäsche, Wolle, Baby-Ausstattung, Bademoden und Miederwaren. Von 1969 bis 2024 war Weczera der Nachfolger.

Vor 100 Jahren wurde das Haus Bender zu einem kommunal-politischen Thema. Inzwischen hatte sich Weinheim zur Einkaufsstadt für Bergstraße und Odenwald gewandelt und ihr Herz schlug an der Hauptstraße, genauer gesagt in der heutigen Fußgängerzone. Im Erdgeschoss des Hauses Hauptstraße 51 – damals verlief die Nummerierung noch umgekehrt vom Müll zum Petersplatz – waren zwei Ladengeschäfte entstanden. Adolf Braun hatte ein Konfektionsgeschäft eröffnet, Daniel Hirsch eine Schuhhandlung. Beide Geschäfte entwickelten sich unter ihren jüdischen Besitzern ausgesprochen gut, Braun wurde mit seinen Sportartikeln zum Ausstatter vieler Bergsträßer Sportvereine, Hirsch warb als „Größtes Schuhgeschäft an der Bergstraße”. Braun und Hirsch waren, neben 20 weiteren jüdischen Geschäften, Teil der Anziehungskraft der Einkaufsstadt Weinheim.
Auf kurzem Weg zum Einkauf

Die Geschäfte in der heutigen Fußgängerzone hatten damals nur einen Nachteil: zum Einkaufsbummel musste man, wenn man von Westen kam, einen Umweg über den Karlsberg oder die Grabengasse machen. Direkte Verbindungen zwischen Institutstraße und Hauptstraße gab es nicht. Deshalb beschäftigte sich der Bürgerausschuss am 31. März 1925 mit der „Einrichtung eines Verbindungsweges für Fußgänger von der Hauptstraße durch das Gebäude von Kaufmann Adolf Braun und die Grundstücke Bender nach der Institutstraße”.
Als geduldeten „Schleichweg” gab es diese Wegverbindung allerdings schon und das sorgte für Ärger bei den Hausbesitzern. Das Grundstück des ehemaligen Bender’schen Knabeninstituts, das 1918 den Nachkriegsschwierigkeiten nicht mehr gewachsen war und aufgelöst wurde, reichte bis zur Institutstraße. Beim früheren Lehrerwohnhaus machte die Straße einen Knick und hier gab es ein Törchen, durch das man auf den großen Turnplatz (heute Parkplatz Institutstraße) kam und dann durch den Innenhof zur Treppe mit dem Abgang in den Hausflur und zum Tor an der Hauptstraße.

Der Schleichweg sollte ein offizieller Verbindungsweg werden, forderte Dr. Dietrich Bender schon 1901 und legte einen eigenen Plan für die Führung durch sein Gelände vor. Die Stadt arbeitete 1911 an einem Plan für die kurze Verbindung zwischen Institutstraße und Hauptstraße, doch der Erste Weltkrieg stoppte alle Pläne.
1925 Thema am Ratstisch
Nach dem Krieg gab es wichtigere Aufgaben und so dauerte es bis 1925, ehe das Thema wieder auf dem Ratstisch lag. Der Bürgerausschuss diskutierte ausgiebig über den Verbindungsweg, für dessen Ausbau 27.000 Mark im Haushalt bereitgestellt wurden. Der Durchgang wurde beschlossen, weil er dem Bedürfnis der Bevölkerung entspreche, meinte Walter Freudenberg, aber er bleibe „ein dunkles Loch”.
Die Delert-Passage
Inflation, Weltwirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg und die Notjahre der ersten Nachkriegszeit schob den Durchgang auf der kommunalen Dringlichkeitsliste weit nach hinten. In den Wirtschaftswunder-Jahre veränderte sich dann das Gesicht der Hauptstraße mit dem Bedürfnis der Einzelhändler, das größere Angebot in einem moderneren n Rahmen zu präsentieren. Fritz Delert hatte 1935 das Anwesen Braun erworben und nahm 1954 Ausbaupläne für sein Geschäft und für die Verbindung zur Institutstraße wieder auf, die von den Weinheimern längst „Delert-Pasasage” genannt wurde. Nach den Plänen des Büros Klose & Naefken entstand für Delert und das Schuhhaus Rohr eine attraktive Schaufenster-front, Delert erweiterte seine Geschäftsräume in das darüberliegende Stockwerk und eine helle Passage führte zwischen großen Schaufenstern auf beiden Seiten nun von der Hauptstraße durch das Gebäude auf den einstigen Turnplatz, der von den Amerikanern zum Parkplatz umfunktioniert worden war – und es blieb. Rechtzeitig vor Weihnachten 1957 weihte Delert sein großzügig umgestaltetes Haus ein und die ausgebaute Delert-Passage sorgte nun ganz offiziell für kurze Weg zur Einkaufsmeile. Mit dem Abriss der alten Bender’schen Schulgebäude, des Lehrerwohnhauses und der Bender-Turnhalle entstand der Großparkplatz Institutstraße. Mit der Burgenpassage steht heute eine weitere Kurzverbindung zur Hauptstraße zur Verfügung.
Die meisten Geschäfte, die die Diskussion um den Verbindungsweg 1925 mit Erwartungen verbunden hatten, bestehen leider nicht mehr.
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