Der Mannheimer Feuersturm und seine Folgen

Die Bergsträßer zeigten sich als mitfühlende Nachbarn

von Heinz Keller

Weinheim. Der 75. Jahrestag des schwersten unter den über 150 Luftangriffen, die Engländer und Amerikaner zwischen Dezember 1940 und März 1945 auf Mannheim/Ludwigshafen flogen, weckt auch in Weinheim Erinnerungen an die Tage nach dem nächtlichen Feuersturm am 5./6. September: als 605 Bomber der Royal Air Force 150 Luftminen, 2.000 Sprengbomben, 350.000 Stabbrandbomben und 5.000 Phos-phorbomben, insgesamt 1.463 Tonnen Bomben, über der Doppelstadt abwarfen und große Teile ihrer Innenstädte zerstörten. In Mannheim starben, dank der 150 Luftschutzbunker im Stadtgebiet, in dieser Nacht „nur“ 414 Menschen, darunter aber auch 50 ausländische Zwangsarbeiter, die die Bunker nicht betreten durften. 3.000 Menschen wurden verwundet.

Der Blick aus Weinheim

Den brennend roten Himmel über Mannheim konnte man in dieser sternklaren Nacht vom Weinheimer Hubberg und vom Wachenberg aus gut beobachten, das verzweifelte Suchen der Scheinwerfer nach den mörderischen Flugzeugen und das wütende Bellen der Flugabwehr. Die RAF verlor über Mannheim 37 Maschinen. Die Weinheimer ahnten, dass sich in der Nachbarstadt gerade eine Katastrophe abspielte. Ihre Folgen wurden schnell spürbar in der vom Bombenterror glücklicherweise verschonten Stadt.  In überfüllten Zügen der OEG und der Reichsbahn und auf Lastwagen flüchteten die obdachlosen Mannheimer nach Weinheim. Eine erste Mahlzeit erhielten sie im Obstgroßmarkt (heute Biomarkt) und draußen standen in langen Reihen die Pferdefuhrwerke aus den Bergstraßenorten. Die Bauern wollten die Opfer der Bombennächte zu einer ersten Bleibe bringen. „Vorbildliche Nachbarschafts-hilfe an der Bergstraße“ lobte das NSDAP-Parteiorgan „Hakenkreuzbanner“, das am 1. Mai die widerspenstigen „Weinheimer Nachrichten“ vom Markt gedrängt hatte. In Weinheim musste nun kurzzeitig Wohnraum für die Fliegergeschädigten in Privathäusern bereitgestellt werden, aber Weinheim und die Bergstraßenorte waren nicht für einen Daueraufenthalt vorgesehen, sondern lediglich als Auffangorte.

Schnell Wohnraum schaffen

Dennoch beschäftigte sich die Stadtverwaltung mit der kurzfristigen Schaffung von Wohnraum in Behelfsheimen. Dem Deutschen Wohnungs-hilfswerk wurde im Gorxheimer Tal zwischen der (damals noch vorhandenen) Gumpelsbrücke beim Bannholz-Parkplatz und dem Waldspiel-platz aus dem Besitz der Stadt, der Firma Freudenberg und des Grafen von Berckheim Gelände zum Bau von 54 Häusern mit 108 Wohnungen überlassen, westlich der heutigen Weststadt-Siedlung wurden auf städtischen Grundstücken 33 Bauten mit 66 Wohnungen geplant – anstelle des 2. Bauabschnitts der Siedlung. Bauträger sollten im Gorxheimer Tal die Gemeinnützige Baugenossenschaft Weinheim, Mannheimer Betriebe und einzelne Flieger-geschädigte sein, im Westen die BBC-Siedlungsgesellschaft Mannheim.

Die Weinheimer mussten eine vorläufige Kleiderkarten-Sperre akzeptieren, weil die Fliegergeschädigten, die alles verloren hatten, rasch mit dem Nötigsten versorgt werden mussten. Deshalb wurden auch alle entbehrlichen Möbel gesammelt.

Brandweiher und Stollen

Die Verschärfung des Luftkriegs gegen Mannheim und Ludwigshafen veranlasste die Stadtverwaltung Weinheim zur Schaffung von Brandweihern als Löschwasserreserven am Blauen Hut  (heute Schlossparkteich), im Hindenburgpark (heute wieder Bürgerpark), in der Nordstadt und in der Weststadt. Zum Schutz der Einwohner wurden Stollen in die Berghänge am Schlossberg und im Müll getrieben und Deckungsgräben, sogenannte Splittergräben, im gesamten Stadtgebiet ausgehoben. Die Bürger lernten, mit Stabbrandbomben und Phosphorbomben umzugehen, Luftschutzsand wurde ausgegeben und zumeist auf dem Speicher bereitgestellt.

Die Apfelernte wurde für Lazarette und Krankenhäuser, für Kinder und werdende Mütter beschlagnahmt.

Medizinische Einrichtungen

Das Kreispflegeheim wurde zum Chirurgischen Ausweich-Krankenhaus für das Städtische Krankenhaus Mannheim umgestaltet und musste 300 Betten zur Verfügung stellen. Deshalb fand im Oktober 1943 eine zweite Evakuierung von Heiminsassen nach 1940 statt. In Sondertransporten wurden sie  in andere badische Pflegeanstalten gebracht. Die Bäckerfachschule stellte ihren Unterrichts-betrieb ein, das „Waldschloss“ wurde zum Hilfskrankenhaus und nahm Schwerstkranke aus den bombengefährdeten Mannheimer Kliniken auf. Der Schießstand hinter dem Haus wurde zum Totenhaus.

Für Frauen aus Mannheim, die in einer Bombennacht entbanden oder kurz vor der Entbindung standen, wurde in der Fuchs’schen Mühle ein kleines Wöchnerinnenheim ein-gerichtet. Die ausgebombte Mannheimer Mütterschule wurde ins Gebäude der NS-Frauenschaft (später DRK-Heim) am Dürreplatz verlegt.

Auch das geschah 1943

Die Wachenburg, seit 1939 und der (zwangs-weisen) Auflösung des Weinheimer Verbandes Alter Corpsstudenten in Stadtbesitz, erhielt eine militärische Besatzung. Unterm Fuchsen-keller wurde ein Bekleidungsdepot der Luftwaffe eingerichtet, im Fuchsenkeller und im Fahnensaal arbeiteten fortan Horchfunker der Nachrichtenfunkaufklärung, die ihre Empfangszentrale im Turm der Wachenburg hatte.

Die Gebäude der Benderschule (heute Werner-Heisenberg-Gymnasium), der Diesterwegschule (heute Stadtbibliothek) und der Gewerbeschule (heute Uhlandschule) wurden von der Mann-heimer Wehrersatz-Inspektion beansprucht, in die Benderschule wurden Büros des  bomben-geschädigten Mannheimer Industrieunternehmens BBC verlegt. Die Benderschüler wurden fortan in der Diesterwegschule unterrichtet.