Boxerbrücke: Der Name wurde am Stammtisch geboren

Die Boxerbrücke kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Kinder sitzen auf den Brückenstufen.
Wer aus dem Hirschkopfviertel zur Innenstadt wollte, nutzte die Boxerbrücke. Das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Bild erinnert an sie und an die einstige Bebauung bei der Einmündung der Untergasse in die Birkenauertalstraße.    Bild: WN-Archiv

von Heinz Keller

Oberbürgermeister Engelbrecht wusste am 22. Dezember 1960 natürlich, woher die alte und die neue Boxerbrücke ihren Namen haben. Aber er spielte bei der Einweihung der neuen Brücke über die Weschnitz mit dem Namen und brachte ihn mit den Boxern des AC 92 Weinheim in Verbindung, die zu dieser Zeit mit Edgar Basel und Helmut Pfirrmann sehr erfolgreich waren. Da liege es doch nahe, meinte der OB schmunzelnd, dass eine Brücke auch einmal nach einer Sportart benannt werde.

Der Abbruch der 60 Jahre alten Bogenbrücke und der Neubau einer flachen und breiteren Fußgängerverbindung zwischen Untergasse und Erbsenberg hatten die meisten Passanten aus der Nordstadt sehr begrüßt. An der 1900 errichteten Brücke hatte der Zahn der Zeit genagt, der Holzbohlenbelag hatte gefährliche Lücken, doch in den Kriegsjahren war das für eine Sanierung notwendige Material für andere Dinge gebraucht worden, und als das städtische Tiefbauamt 1951 Pläne für eine neue Brücke erarbeitet hatte, war in der Stadtkasse kein Geld.

Erst in den späten 1950er Jahren bot sich eine neue Chance. Sie wurde in Verbindung mit der Verbreiterung der Birkenauertalstraße sofort genutzt. Die alten Eisenbögen verschwanden und mit ihnen die starke Wölbung der Brücke, die den Fußgängern vor allem im Winter Schwierigkeiten bereitet hatte. Die neue Stahlbetonbrücke war flacher, breiter und verkehrssicherer, denn sie konnte nicht mehr von übermütigen Buben zum Schrecken der Passanten ins Schwingen gebracht werden.

Aber mit der alten Boxerbrücke, die ein bisschen aussah wie eine chinesische Brücke, war am „Gailsloch“, wo einst die Hintergässer Bauern ihre Pferde gewaschen haben, auch ein Stück Romantik verloren gegangen. Es wurde schwer, die Geschichte der Namensfindung mit der nüchternen Betonbrücke in Verbindung zu bringen.

Boxerbrücke Wegschnitt mit regem Badebetrieb.
Zwischen Hildebrandmühle und Boxerbrücke befand sich einst das Gailsloch, in dem die Hintergässer Bauern ihre Pferde wuschen. Die historische Aufnahme zeigt regen Badebetrieb, für den am Ende der Engstelle die Weschnitz angestaut wurde. Bild: WN-Archiv

Stammtisch-Schöpfung

Als 1900 die Stahlbogenbrücke den alten Steg von 1874 ersetzte, von dem 1886 ein Kind abgerutscht und in der Weschnitz ertrunken war, wehrte sich in China der nationalistische Geheimbund der „Boxer“ gegen die Fremdherrschaft der westlichen Kolonialmächte. Dem „Boxeraufstand“ fiel der deutsche Botschafter Clmens Freiherr von Ketteler zum Opfer. Sein Tod bildete den Anlass für eine militärische Intervention.

Dem deutschen Expeditionscorps gehörten auch die beiden Weinheimer Johann Christian Bartels und Adam Schuch an. Damit wurde der ferne Boxeraufstand an den Weinheimer Stammtischen zu einem Thema, das sich schnell verband mit dem „chinesischen“ Aussehen der neuen Weschnitzbrücke. Eines Abends wurde im „Schwarzen Adler“ am Petersplatz (später Eisenwaren Gunßer) der Name Boxerbrücke geboren. Die am Stammtisch diskutierenden Burschen schrieben das Wort „Boxerbrücke“ auf eine Tafel und brachten sie an der Baustelle an. Die Bürgerschaft und die Stadtverwaltung nahmen den Scherz an und damit hatte die Brücke ihren ungewöhnlichen Namen.

Einst Baumstammbrücken

In den Jahrhunderten zuvor hatten Baumstamm-Brücken die einstige kurmainzische Altstadt mit der jüngeren kurpfälzischen Neustadt verbunden. An den furtähnlichen Stellen mit niedrigem Wasserstand lagen an beiden Ufern der Weschnitz Baumstämme auf. Sie waren aber nur an einer Seite befestigt, damit sie bei steigendem Wasserstand nachgeben konnten. Bei vielen Hochwässern haben die mit Querbohlen zusammengehaltenen Baumstämme nicht nur dem Wasserdruck nachgegeben, sondern sind auch aus der Verankerung gerissen und weggeschwemmt worden. Deshalb wurde 1874 der schmale Steg gebaut und 1900 die Bogenbrücke, die ursprünglich niveaugleich an die Birkenauertalstraße angebunden war und damit leicht mit Handwagen oder auf dem Fahrrad überwunden werden konnte. Fußgänger hatten allerdings oft Mühe mit der starken Wölbung und als ein Passant verunglückte, entschied man sich in den 1920er Jahren, an beiden Brückenenden Stufen anzubringen. 1960 war die Bogenbrücke altersschwach geworden und wurde in ungewöhnlich kurzer Bauzeit und mit einem Kostenaufwand von 40.000 DM durch eine flache Betonverbindung zwischen Untergasse und Entengasse ersetzt. Der einst am Stammtisch im „Schwarzen Adler“ geborene Namen „Boxerbrücke“ blieb ihr auch ohne „chinesische“ Wölbung bis heute erhalten.    (2010)