Sie brachte die Bas und den Vetter in die Bütt

Blick zurück: Vor 75 Jahren wurde die Große Karnevalsgesellschaft wiederbelebt

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Weinheim. Das Jahr 1950 erlebten auch die Weinheimer in einem Wechselbad der Gefühle: die notvollen Jahre der ersten Nachkriegszeit waren zwar vorüber, die Zeit der Lebensmittelmarken vorbei. Aber der ersehnte Aufschwung der Wirtschaftswunderjahre ließ noch auf sich warten und der Korea-Krieg entfachte neue Kriegsangst. Dennoch: Optimismus und wachsende Lebensfreude prägten zunehmend den Alltag. Das zeigte sich auch daran, dass vor 75 Jahren zahlreiche Vereine wiederbelebt oder neu gegründet wurden: der Gewerbeverein 1884 um Schreinermeister Martin Eidt, die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft (DLR) mit dem Schirmherrn Rolf Engelbrecht, der Alpenverein um Dr. Wagner, der Sportschützenverein 1923 um Oberschützenmeister Hermann Gutjahr und die Fleischerinnung um Obermeister Heinrich Pflästerer. Am Ende des Jahres, rechtzeitig vor dem Elften im Elften, kehrte die Große Karnevals-Gesellschaft Weinheim (GKW oder GroKaGe)) auf die Bühne zurück.

Eine Stammtisch-Geburt

Am 7. Januar 1928 war die „Große Karnevalsgesellschaft Weinheim 1928“ in der Weinstube „Zur Bergstraße“ („Scharfes Eck“) gegründet worden. Sie wollte nach den Worten ihres Kanzlers Otto Leppla den in vielen kleinen Veranstaltungen zersplitterten Weinheimer Fastnachtshumor zusammenfassen und nach dem Vorbild von Köln, Mainz und Mannheim auf die große Bühne bringen. Der erste Elferrat der neuen Gesellschaft wurde vornehmlich aus Mitgliedern der „Rosenmontags-Gesellschaft Scharfes Eck“ gebildet, einem Stammtisch. Zum Präsidenten wurde Sattlermeister Fritz Lang, damals der populärste Lokalhumorist Weinheims, gewählt. Dem Elferrat gehörten prominente Weinheimer an: Heinrich Ehret, Besitzer des Hotels „Vier Jahreszeiten“, Bäckermeister Peter Fleck, Bildhauer Emil Walter, Adolf Berge, Direktor der Bürgerbrauerei Weinheim, die Baumeister Adam Lutz und Heinrich Winkes, Dachdeckermeister Wilhelm Brück, Fotomeister Heinrich Oeser, Kunstgärtner Heinrich Schropp und Schreinermeister Martin Eidt. Als Kanzler, Schriftführer und Kassenwart fungierte Otto Leppla, der sich selbst als „Mädchen für alles“ bezeichnete und es dann auch in allen Jahren war.

1.400 begeisterte Besucher

Schon am 5. Februar 1929 fand die erste „Große Fremdensitzung mit Damen“ in der Festhalle Pfälzer Hof (heute Stadthalle) statt: mit 36 Musikern der Kapelle Strauß, 1.400 Besuchern in der proppevollen Stadthalle und einem Präsidenten, der viele Beiträge zur fünfstündigen Sitzung selbst verfasst hatte und am Ende zusammen mit Fräulein Westhöfer eine Premiere feierte: als Vetter Philip und Bas Greth in der Bütt, die als „Puhlschepper“ gestaltet war und aus der Werkstatt von Elferrat Martin Eidt stammte. Seither sind die Bas und der Vetter mit ihrem losen, lokalkritischen Mundwerk Symbolfiguren der Weinheimer Fastnacht.

Keine KdF-Abteilung

Grafik eines Mannes und einer Frau in einer Fastnacht-Bütt.
Vetter und Bas im „Puhlschepper“

Vier weitere Sitzungen folgten der gelungenen Premiere. 1933 fand die letzte Sitzung statt, denn schon kurz nach ihrer Machtübernahme wollten die National-sozialisten die Gleich-schaltung auch der Karnevalsvereine und ihre Eingliederung in das Veranstaltungs-programm ihrer Freizeit-organisation „Kraft durch Freude“ (KdF). Die Veranstalter von karnevalistischen Abenden sollten Programm und Texte der Kreisleitung der NSDAP zur Genehmigung vorlegen, die Sitzungen sollten mit dem Hitler-Gruß beginnen. Das lehnte die Große Karnevalsgesellschaft ab und verzichtete auf weitere Veranstaltungen. Von Kriegsbeginn bis Kriegsende fanden reichsweit keine Fastnachts-Veranstaltungen mehr statt.

Der Neustart

Am 30. Oktober 1950 hielten die einstigen GKW-Fastnachter den Zeitpunkt gekommen, die Große Karnevalsgesellschaft wieder zu beleben. Im „Deutschen Haus“ kam ein kleiner Kreis zusammen und wählte den inzwischen 82-jährigen Fritz Lang zum Präsidenten der Gesellschaft, Otto Leppla zum Kanzler, Fritz Knoth zum Kassenwart, Ernst Engel zum Schriftführer und Otto Geyer zum Pressewart. Den Elferrat bildeten Albert Bähr, Wilhelm Böhler, Fritz Geisinger, Otto Geyer, Eduard Hammel, Ernst Hossang, Werner Janzer, Fritz Kappes und Peter von Steht.

Die ersten Fremdensitzungen nach dem Zweiten Weltkrieg fanden am 14. Und 21.  Januar 1951 statt. Die Stadthalle war jeweils bis auf den letzten Platz besetzt, für stimmungsvolle Musik sorgte die Stadt- und Feuerwehrkapelle unter Peter Hesse, schwungvolle Stimmungslieder hatte Otto Werner getextet. In den „Puhlscheppern“ standen Fritz Lang, Otto Leppla, Otto Geyer, Fritz Geisinger, der junge Herbert Burkhardt und als Höhepunkt der vierstündigen Sitzung Peter Kraft und Lu Metzmacher als Vetter Philp und Bas Greth. Wie Oberbürgermeister Josef Huegel und Bürgermeister Dr. Fritz Meiser bei der Sitzungspremiere 1929 wurden Oberbürgermeister Rolf Engelbrecht und Bürgermeister Ludwig Bohrmann in die Bütt zitiert und auch Bundestagsabgeordneter Richard Freudenberg blieb nicht verschont. Der OB meinte am Ende seiner Rede selbstbewusst: „Den Weinheimern ist nicht jeder recht, drum schafft mal weiter mit dem Engelbrecht“. Im Wahlkampf für seine Wiederwahl veränderte Rolf Engelbrecht den Satz in: „Er war uns recht, er bleibt uns recht, wir wählen wieder Engelbrecht“.

Das Ende kam schnell

1952 löste sich die Große Karnevalsgesellschaft auf. Fritz Lang war inzwischen 84 Jahre alt und auch der Elferrat war in die Jahre gekommen. Es fehlten den Senioren junge Mitstreiter. Das Erbe der GroKaGe Weinheim traten 1953 der „Club der Pantoffelden“, die karnevalistische Abteilung der Weinheimer Kolpingsfamilie, und 1954 die Karnevalsgesellschaft „Weinheimer Blüten“ an.

Namensgeber der Boxerbrücke

Boxerbrücke Wegschnitt mit regem Badebetrieb.
Zwischen Hildebrandmühle und Boxerbrücke befand sich einst das Gailsloch, in dem die Hintergässer Bauern ihre Pferde wuschen. Die historische Aufnahme zeigt regen Badebetrieb, für den am Ende der Engstelle die Weschnitz angestaut wurde. Bild: WN-Archiv

Fritz Lang starb am 2. Dezember 1957 im 90. Lebensjahr. Zu seinen Hinterlassenschaften zählt neben zahllosen Büttenreden der Name der Boxerbrücke. Lang hat ihn geboren, als am Stammtisch in der ehemaligen Gaststätte „Zum Schwarzen Adler” über den bei der Jahrhundertwende 1899/1900 aktuellen „Boxeraufstand” in Peking diskutiert wurde. Lang sorgte auch dafür, dass an der markanter, 1900 errichteten und 1960 abgebrochenen, ein bisschen „chinesisch“ anmutenden Stahlbogenbrücke ein Namensschild angebracht wurde. Bürgerschaft und Stadtverwaltung akzeptierten den Namen und seitdem heißt die Fußgängerverbindung zwischen Untergasse und Entengasse Boxerbrücke, auch wenn sie seit 1960 nicht mehr „chinesisch” aussieht.