Als Seppl Herberger Ehrenbürger wurde
von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Vor 50 Jahren formte die Gemeindereform mit dem Anschluss von sechs Nachbargemeinden das neue Weinheimer Stadtbild – und die Ehrenbürger-Galerie im Schloss erhielt zwei Neuzugänge: Georg Peter Nickel, Landwirt in Lützelsachsen und Züchter der berühmten „Nickels-Quetsch”, und Josef Herberger, Diplom-Sportlehrer in Hohensachsen und Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die 1954 im Berner Wankdoerf-Stadion Weltmeister geworden war. Mit der Eingliederung ihrer Wohngemeinden, die ihnen die Ehrenbürgerwürde am 11. Januar 1940 und am 1. Juli 1954 verliehen hatten, wurden Nickel und Herberger Weinheimer Ehrenbürger.
Gutes Omen?
Der Gemeinderat der Gemeinde Hohensachsen ernannte seinen seit 1952 im neuen Haus an der Steinstraße (heute Sepp-Herberger-Straße) lebenden Mitbürger Josef Herberger bereits vier Tage vor dem Endspiel der Weltmeisterschaft einstimmig zum ersten Ehrenbürger und übermittelte dem „Vater des Wunders von Bern” die Nachricht in einem Glückwunsch-Telegramm nach dem Schlusspfiff am 4. Juli 1954 ins Mannschaftsquartier, das Hotel Belvedere in Spiez: „Herzlichen Glückwunsch zur Weltmeisterschaft! Hohensachsen ernennt Sie zum Ehrenbürger Ihrer Heimatgemeinde”.
Triumphale Heimkehr
Die Ehrenbürger-Urkunde überreichte Hohensachsens Bürgermeister Georg Schwöbel nach Herbergers triumphaler Heimkehr am 7. Juli 1954 im völlig überfüllten Saal des „Goldenen Ochsen” (heute griechisches Restaurant). Hier endete der Triumphzug, der am Nachmittag an der Ausfahrt Viernheim der alten Reichsautobahn (heute A 67) begonnen hatte, wo der Erfolgstrainer von seiner Frau Ev und Bürgermeister Schwöbel erwartet wurde. An der Ziegelhütte, dem damaligen westlichen Stadteingang (heute Karlsruher Straße), setzte sich eine Motorradstaffel der Weinheimer Stadtpolizei an die Spitze einer Wagenkolonne, die einer offener VW-Käfer mit Ev und Sepp Herberger und Bürgermeister Schwöbel anführte, gesteuert von Wilhelm Sebastian, in den 1930-er Jahren erfolgreicher Beifahrer von Rudolf Carraciola und Cheftechniker der Rennfahrer-Legenden Bernd Rosenmeyer und Tazio Nuvolari.
Auf dem Weg zum Weinheimer Schloss wurde der Herberger-Wagen mit Blumen überschüttet, im Schlosshof warteten Hunderte begeisterter Menschen, gegen deren Jubel Oberbürgermeister Engelbrecht mit dem Weinheimer Glückwunsch kaum ankam. Danach rollte die Wagenkolonne über Lützelsachsen zur Steinstraße in Hohensachsen und vor Herbergers neues Haus. Elf Böllerschüsse starteten einen von der Stadt- und Feuerwehrkapelle Weinheim unter Peter Hesse angeführter Lampionzug hinunter in den „Ochsen”, dem die Landespolizei nur mühsam einen Weg bahnen konnte.
Unter stürmischem Jubel überreichte Bürgermeister Schwöbel die Ehrenbürger-Urkunde an Seppl Herberger, dessen Verdienste um den deutschen Fußballsport man mit Hohensachsens höchster kommunalen Ehrung würdigen wolle, wie das Ortsoberhaupt betonte. Der MGV 1850 Hohensachsen und die SG Hohensachsen machten an diesem Abend den „Helden von Bern” zu ihrem Ehrenmitglied.
1973 wurde Herberger mit dem Anschluss Hohensachsens an Weinheim auch Ehrenbürger der Geburtsstadt seiner nur Ev genannten Frau Eva Müller, die in der Karlstraße aufgewachsen ist. Nach der Hochzeit 1921 lebten die Herbergers zunächst in der Nordstadt, ab 1926 in Berlin, wo Herberger (auch ohne Abitur) an der Hochschule für Leibesübungen studierte, danach als Fußballlehrer in Westdeutschland und schließlich wieder in Berlin, als Seppl Herberger Reichstrainer wurde. Nach Kriegsende kehrten die Herbergers zurück nach Weinheim, wo Reichstrainer Herberger (NSDAP-Mitglied seit 1933) entnazifiziert wurde (Einstufung als „Mitläufer” und Sühnebescheid über 500 RM). Zusammen mit seinem Freund Hermann Langer, inzwischen Leiter der damals noch kommunalen Polizei, grübelte er über Plänen für eine Sportschule und eine Trainer-Akademie in Weinheim. 1950 bestritt die deutsche Nationalmannschaft unter dem neuen Bundestrainer Herberger ihr erstes Länderspiel nach dem Krieg in Stuttgart gegen die Schweiz. 1952 bezog Ev Herberger das neue Haus in Hohensachsen, während ihr Mann mit der Nationalmannschaft an den Olympischen Spielen in Helsinki teilnahm, der ersten Nachkriegs-Olympiade mit deutscher Beteiligung.
Fünf Tage vor seinem 80. Geburtstag am 28. März 1977 überreichte Oberbürgermeister Theo Gießelman an Seppl Herberger die Weinheimer Bürgermedaille. Zu Herbergers 80. Geburtstag brachte die Bundespost einen Sonderstempel heraus: eine Auszeichnung, die zu Lebzeiten bis dahin nur den früheren Bundeskanzlern Konrad Adenauer und Willy Brandt zuteilgeworden war. Am 28. April 1977 erlag der Ehrenbürger einem Herzversagen. Sein Grab auf dem Hohensachsener Friedhof wird von Fußballfans immer wieder besucht.
In seiner zweiten Heimat Weinheim – Seppl Herberger wurde in der Werkswohnungs-Siedlung der Mannheimer Spiegelfabrik im Stadtteil Waldhof geboren, als jüngstes von sechs Kindern – tragen das Stadion in der Weststadt, die Grundschule in Hohensachsen und „seine” Straße den Namen Sepp Herbergers. Am 31. Mai 1997 taufte Fritz Walter, Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Herbergers Lieblingsspieler, im Weinheimer Bahnhof einen ICE auf den Namen des „Chefs”, wie Herberger von den Nationalspielern respektvoll genannt wurde.
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