Der Juxplatz und „die Müllers-Rebbel”

Weinheims jahrzehntelange Suche nach einem Fest- und Messplatz

von Heinz Keller

 

In den Ratsakten spielt der Juxplatz, Weinheims populäre Freizeit-Vergnügungsstätte beim Odenwaldbahn-Übergang Alte Landstraße, eine wesentlich bescheidenere Rolle als in der Erinnerung der alten Weinheimer. Für sie war das Geländedreieck an der Einmündung der Kapellenstraße in die Alte Landstraße immer ein Platz, auf dem man Spaß haben konnte, wenn man das wollte. Bis in die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Juxplatz seinem Namen gerecht, wenn auch schließlich mit sehr bescheidenem Angebot und bei stark nachlassendem Interesse aus der nach Westen und Süden wachsenden Stadt. Der Weg in die Nordstadt wurde immer weiter.

Über die Entstehung des Juxplatzes ist aus den Ratsakten nichts zu erfahren. Ein Straßenplan von 1901 für den Nordstadtraum zwischen Sulzbacher Landstraße (heute Bergstraße) und Main-Neckar-Bahnlinie enthält diesen Platz allerdings und nennt ihn „Freier Platz“. In den folgenden fünf Jahren muss sich am Odenwaldbahn-Übergang aber etwas getan haben, denn 1906 wurde im „Weinheimer Anzeiger“ in großen Anzeigen „auf den neuen Juxplatz bei der Bürgerbrauerei“ eingeladen. Ob es sich dabei um die Dreiecksflächen südlich und nördlich des Bahnübergangs gehandelt hat – die Bürgerbrauerei befand sich bekanntlich auf dem heutigen Amend-Gelände zwischen Hopfenstraße und Neckarstraße – ist nicht bekannt. Wahrscheinlich war die nahe Braustätte nur ein Orientierungspunkt.

Zeit der Kinematographen

Die Kinematographen als Vorgänger des Films waren im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts besondere Anziehungspunkte auf dem Juxplatz, der nun in allen Zeitungsanzeigen so genannt wurde. Zum Sommertagszug 1907 kam „Ohr’s Kinematograph“ mit Bildern von einer Nilpferdjagd in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Neben Aufnahmen von durchgehenden Pferden und über „Die Köchin in der Kaserne“ versprachen die stündlichen Vorführungen „viele andere neue Bilder (zum Totlachen)“.

Im September 1907 bestätigte sich „Künzels Grand-Theater-Kinematograph“ als Vorgänger der späteren Kino-Wochenschau. Ein Großteil der 12.000 Fotografien widmete sich den Explosionen auf dem Panzerschiff „Jena“ im Hafen von Toulon und ihren schrecklichen Folgen. Nach 30 Minuten Katastrophenbericht sollte im zweiten Teil der „Reproduktion lebender Photographien“ dennoch gelacht werden. Das Programm wies auch gleich darauf hin, an welcher Stelle: „Ein Kurzsichtiger, welcher seinen Kneifer verliert (hochkomisch)“ oder „Der kleine Bäckerjunge (wer nicht leicht lacht, muss lachen)“. Nur für Erwachsene war allerdings die abendliche Cabaret-Vorstellung auf dem Juxplatz.

Gleich zwei Veranstalter bemühten sich am ersten November-Wochenende 1907 um die „verehrlichen Besucher“: Nelle’s Kinematograph mit Märchen, Illusionen, Zauberstückchen und humoristischen Straßenszenen und Adolf Rauschers Panorama mit Bildern vom Vesuv-Ausbruch, den Straßenkämpfen in Moskau, der Schlacht bei Mukden, dem Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika und der Beschießung von Port Arthur durch die japanische Flotte im Februar 1904.

Vorgänger der späteren Wochenschau waren die Kinematographen, aber auch Vorgänger des Kulturfilms. Am Weinheimer Juxplatz konnte man bereits 1907 die Schönheiten der Innerschweiz erleben mit „der großen Rundschau von der Rigi“.

Erinnerungen an Reitschul-Müller

Der Anlass ist nicht bekannt, aber mit den Kinematographen kam am ersten November-Wochenende 1907 ein „Pracht-Etagen-Karussell, hochmodern, mit allen technischen Bequemlichkeiten versehen“ auf den Juxplatz. Zu jener Zeit hatte sich Peter Müller, im Hauptberuf Wirt in der Gaststätte „Zum alten Blücher“, in der Weinheimer Fastnacht bereits einen festen Platz erarbeitet. 1900 stellte er seine erste „Reitschul“, wie in Weinheim grundsätzlich jedes Karussell heißt, auf dem Dürreplatz auf. Das kleine Kinderkarussell mit Pferden und Chaisen und dem weißblau gestreiften Spitzdach über den zwölf Sitzen war eine Sensation in der Fastnacht. Jedes Kind hatte einen Strick in der Hand und je mehr an den Stricken gezogen wurde, desto schneller lief „die Reitschul“. Da das Karussell unter Musik- und Laufwerklärm seine Runden drehte, wurde die Reitschule Müller auch „die Müllers-Rebbel“ genannt, obwohl das Kinderkarussell ganz und gar nicht jenes verkehrsuntüchtige alte Fahrzeug war, das der Weinheimer Dialekt als „Rebbel“ bezeichnet.

Vom Vater Peter übernahm Heinrich Müller 1933 das Geschäft, das immer mit der Zeit ging: statt Petroleum-Licht nun elektrische Bogenlampen, statt schiebender Kinderhände nun Motorbetrieb. Tradition blieb die Reitschul zur Fastnacht auf dem Dürreplatz, auch als der Ausgang des Zweiten Weltkriegs Deutschland in größte Not versetzte. 1948 stand eine Schiffschaukel auf dem Dürreplatz. Heinrich Müller und sein Freund Adam Silber, gelernter Schreinermeister, hatten sie im Zimmergeschäft von Ludwig Eidenmüller zusammengebaut. 1950 kaufte Silber für 5.000 DM die Schiffschaukel und begründete mit ihr und dem selbstgebauten Märchenkarussell eine neue Tradition in altem Gewand, denn Silber übernahm das Fahrgeschäft Müller. Heinrich Müller und Adam Silber arbeiteten noch einmal zusammen: beim Bau einer Autorennbahn. Beim Sommertagszug 1950 hatte sie auf dem Juxplatz Premiere und begeisterte fortan die Buben mit dem Gefühl, für einige Minuten in einem richtigen Rennwagen zu sitzen.

Der weite Weg zum Festplatz

Mit dem Juxplatz verbinden sich allerdings nicht nur die Erinnerungen an das Vergnügen, die er den Weinheimern zwischen den beiden Kriegen vermittelte. Der Juxplatz war auch Ausgangspunkt für die langjährige Suche nach einem repräsentativen städtischen Mess- und Festplatz. „Mit seinen 950 Quadratmetern Fläche ist er viel zu klein, er liegt nicht günstig und hat zudem eine unpraktische Gestalt“, begründete Vermessungsrat Karl Karcher am 17. Juli 1922 die Meinung des städtischen Vermessungsamtes: „Der Juxplatz im nördlichen Stadtteil genügt den Anforderungen nicht!“ Denn: die derzeitige und künftige Entwicklung der Stadt gehe nach Westen und deshalb liege der Gedanke nahe, den Mess- und Festplatz in diesem Stadtteil unterzubringen, meinte Karcher.

Weil ein Festplatz aber auch nicht zu weit vom Zentrum entfernt sein sollte, dachte Karcher auch nicht an ein Gelände westlich der Wohnbebauung, die damals mit der Fichtestraße endete, sondern an den heutigen Hallenbad-Parkplatz. Auf einem 4.500 qm großen Gelände, im Besitz der Maschinenfabrik Badenia und der Pfälzer Katholischen Kirchenschaffnei, ließe sich ein Messplatz schaffen, den man leicht befestigen und entwässern könnte und der mit der Weststraße eine bequeme Zufahrt hätte, urteilte Karcher.

Erst am 31. Mai 1938 tauchte die Frage der Schaffung eines Messplatzes für Weinheim wieder im Protokoll der Ratsherren-Sitzung auf, allerdings sehr knapp: „Die Dringlichkeit dieser Frage wird allgemein anerkannt, andererseits aber auch die Schwierigkeiten, die der Lösung der Frage entgegenstehen. Die Angelegenheit soll weiterhin im Auge behalten werden“. Auf die Ratsherren-Frage, wie weit die Planung für den Messplatz inzwischen gediehen sei, antwortete Vermessungsrat Karcher im Februar 1939: „Der künftige große Messplatz wird nördlich der Wormser Straße zwischen der sogenannten Umgehungsstraße und der Fichtestraße liegen. Vor 1941 ist die Durchführung der Neueinteilung der Grundstücke, durch welche die Stadt diesen Platz erhalten soll, nicht möglich“.

Unbekannte Entscheidung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigte sich der aus den ersten freien Wahlen am 27. Januar 1946 hervorgegangene Gemeinderat unter Vorsitz von Bürgermeister Wilhelm Brück auch mit einer Neuausrichtung der kommunalpolitischen Ziele. In einer Stellungnahme des damaligen Verwaltungsamtes II wurde im April 1947 an die Gemeinderatsentscheidung von 1934 erinnert, die in den bisherigen Diskussionen zum Juxplatz-Thema keine Rolle spielte: „Durch Beschluss des Stadtrats vom 13. Juni 1934 wurden die Jahrmärkte in Weinheim aufgehoben. An ihre Stelle soll eine achttägige Messe im August treten. Die Messe soll auf dem städtischen Gelände bei der Badenia/Naturin abgehalten werden. Die Mittel für die Instandsetzung des Platzes sollen für 1935 vorgesehen werden“.

Im Krieg gab’s wichtigere Dinge als die Standortsuche für einen Messplatz. Klar aber war auch 1947, dass der Juxplatz zu klein war als Ausstellungsgelände. Der damals an den FV 09 Weinheim verpachtete Naturinsportplatz, heute mit Hallenbad und TSG-Halle bebaut, wurde von den Schaustellern als zentral gelegener Messplatz begrüßt, der ebenfalls diskutierte Jahnplatz (heute Wohnbebauung Carl-Diem-Straße) dagegen abgelehnt, weil man seine dezentrale Lage nicht schätzte und außerdem mit Nachbarschaftsklagen rechnete, wie die dann auch 1957 zum sogenannten Volksfest-Prozess führten.

Fußball statt Messe

Die Juxplatz-Akten im Stadtarchiv schließen mit einer Stellungnahme von Stadtbaumeister Paul Kleefoot vom 5. Mai 1947. Der im März 1945 ins Technische Amt der Stadtverwaltung eingezogene Architekt, Großvater des späteren Oberbürgermeisters Uwe Kleefoot, hielt den Naturinsportplatz in seiner zentralen Lage für ein geeignetes Messplatz-Gelände, zumal inzwischen für Feuerwehr und Bauhof andere Standortentscheidungen getroffen worden waren. Es sei allerdings zu überlegen, ob der lange von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmte und ziemlich ramponierte Platz als Fußballplatz oder als Messplatz angelegt werden sollte, schränkte Kleefoot sein Ja zum Platz an der Naturin ein.

Bis 1961 blieb der Platz ein Fußballplatz. Dann entstand hier der Sportstättenbau. Noch immer aber hatte Weinheim keinen Mess- und Festplatz. Die großen Volksfeste der zurückliegenden Jahre waren im Schulhof des Gymnasiums und auf dem Jahnplatz gefeiert worden. Erst mit der Anlage eines Parkplatzes für die Besucher des nach Ehrenbürger Sepp Herberger benannten Weststadt-Stadions erhielt Weinheim einen Fest- und Messplatz, der allerdings nach dem Bau des Hector Center auch wieder zu klein ist für große Veranstaltungen.

Erst-Erscheinung 1995