Eine Postkarte erzählt Krankenhaus-Geschichte

Spital und Volksbad, Münzen und Pfründnerhaus

Postkarte: Das erste städtische Krankenhaus in Weinheim.
Aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg dürfte diese Postkarte mit dem ersten städtischen Krankenhaus (rechts) und dem Volksbad (links). Zu sehen sind auch die ersten Häuser am Schlossberg, große Rebflächen unter der Windeck und die junge Wachenburg.

von Heinz Keller

Voller Stadtgeschichte steckt diese Weinheim-Postkarte aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Dominierende Eindrücke sind, neben der Windeck, den unter ihr liegenden Weinbergen und den ersten Häusern am Schlossberg(linke Bildhälfte), das Städtische Krankenhaus (rechts) und das Volksbad (links) mit der es umgebenden großen Grünfläche der Bleiche. Am linken oberen Bildrand sind die wichtigsten Bauabschnitte der Wachenburg zu erahnen: Der Bergfried mit der Ehrenhalle für die im deutschfranzösischen Krieg 1870/71 gefallenen Corpsstudenten, der 1908 eingeweiht wurde, und der Palas, mit dem 1913 der Burgbau fertiggestellt wurde.

Lange Krankenhausgeschichte

Es hat in Weinheim lange gedauert, ehe man sich im Rathaus mit dem Bau eines Krankenhauses beschäftigte. Um die Gesundheitspflege stand es, nach heutigen Vorstellungen, im alten Weinheim Jahrhunderte lang sehr schlecht. Der Unrat floss aus den Häusern in die Rinnsale der Straßen. Die Misthaufen, Begleiterscheinungen der landwirtschaftlichen Tätigkeit der Ackerbürger, lagerten vor den Häusern und die Abwässer mündeten offen in Gerberbach, Grundelbach und Weschnitz, die sicher im Sommer einen pfuhlartigen Eindruck machten. 1524 wurde eine Bachordnung erlassen und 1599 eine Straßenordnung, die das Aufschichten von Misthaufen am Steinweg, der heutigen Hauptstraße, verbot und in den Seitengassen auf ein geringes Maß festsetzte, da man schon damals diesen Schmutz als gesundheitsgefährdend empfand.

Erst das Jahr 1879 brachte den Beginn einer Wende, als rechts der Weschnitz, im „neuen Stadtteil“, eine erste Kanalisation verlegt wurde. Ihr folgte 1892, von der Firma Carl Freudenberg erbaut, vom Müll her der erste Sammelkanal. Kanalisation und Wasserleitung trugen dann zur Besserung des allgemeinen Gesundheitszustandes in Weinheim bei.

Hohe Sterberaten

Erst in dieser Zeit konnte man auch von einer ärztlichen Versorgung der Bevölkerung reden, die Jahrzehnte lang recht hilflos den Epidemien und den Folgen der vielen Kriege gegenüber gestanden hatte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, als in Deutschland nur noch etwas mehr als fünf Millionen Menschen lebten, war die Einwohnerzahl Weinheims von Pest und Hunger auf ganze 2.000 Bürger verringert worden und auch danach sorgten Hungertyphus, Cholera, Diphtherie, Wochenbettfieber und infektiöse Krankheiten, die unter den verschiedensten Namen grassierten, für hohe Sterberaten.

Keine kommunale Aufgabe

Dennoch betrachtete es die Stadtverwaltung nicht als ihre Aufgabe, einen Arzt zu bestellen. Der jüdische Arzt Walheim, der 1355 in Weinheim lebte und von Pfalzgraf Rupprecht I. eine Ermäßigung des Schutzgeldes erfuhr, stand jedenfalls nicht in einem Dienstverhältnis zur Stadt. Auch der Bader war kein städtischer Bediensteter.

1652 wurde vorübergehend ein Fortschritt im Gesundheitswesen erzielt, als der Rat der Stadt mit dem Arzt Dr. Fißler einen Vertrag abschloss und ihm für die Niederlassung im kleinen Weinheim einen Jahressold von zehn Eimern Wein und acht Maltern Spelz zuerkannte, der im folgenden Jahr auf zwei Fuder Wein und zehn Malter gemischter Frucht erhöht wurde. Der Arzt scheint Weinheim dennoch wieder verlassen zu haben, denn 1666, als die Seuche Weinheim voll im Griff hatte, wurden ein „Pestbalbierer“ und ein Krankenpfleger bestellt.

1711 zerschlug sich die Niederlassung von Dr. Hoppe als „Physikus für Weinheim und Lindenfels“, so dass das Oberamt Heidelberg der Stadt befahl, mit dem Heidelberger Stadtphysikus Dr. Hose einen Vertrag abzuschließen. Für 100 Reichstaler Jahresgehalt sollte er alle zwei Wochen nach Weinheim kommen. Auch daraus wurde nichts. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es, für 50 Gulden Gehalt aus dem Ratsalmosen, den Armenarzt Dr. Wen aus Heidelberg.

Auch 1792 war noch kein Arzt in Weinheim ansässig. Hilfe konnten Kranke nur beim Bader oder beim Heilgehilfen finden. Erst 1830 werden in den Ratsakten ein Arzt und ein Heilgehilfe genannt. Mit der aufstrebenden Industrie und der wachsenden Bevölkerungszahl ließen sich dann weitere Ärzte in Weinheim nieder.

 

Seit 1861 ein Krankenhaus

Der Bohn’sche Hof (Aquarell von 1811)
Der Bohn’sche Hof auf einem Aquarell von 1811

Von einem Krankenhaus ist in den Ratsakten erstmals 1859 die Rede. Vorgänger der Krankenanstalten waren, auch in Weinheim, die Armenspitäler, in denen die Alten und Gebrechlichen Zuflucht fanden, von freiwillig Helfenden versorgt und bei Krankheiten behandelt wurden. Seit dem Ausbruch des Aussatzes und dem Ende der Kreuzzüge im 12./13. Jahrhundert gab es abseits der ummauerten Stadt das Gutleuthaus, seit 1368 ein Armenspital, das auf die Stiftungen der Hildegunde und des Johannes Schultheiß von Weinheim zurückging. Die Gutleuthausstraße in der Nordstadt erinnert an das Spital.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Krankenhausdiskussion lebhafter. 1861 eröffnete die Stadt Weinheim ihr erstes Krankenhaus am Grundelbach, auf einem Gelände, das sie 1859 von der Gräfin Waldner von Freundstein, der Schlossherrin, erworben hatte. Es war ursprünglich wohl eines der vier Hofgüter der mit Weinheims früher Geschichte eng verbundenen Familie von Swende, das nach deren Aussterben 1477 auf die Landschads übergegangen und 1600 an die kurz zuvor geadelte Weinheimer Familie Bohn gefallen war, deren bürgerliche Vorfahren im Haus der heutigen Gaststätte „Platzhirsch““ am Marktplatz gelebt hatten. 1727 starben die von Bohns aus, der so genannten Bohn’sche Hof ging an die Freiherrn Ulner von Dieburg. Ihr Erbe, der Freiherr von Venningen, verkaufte das Gut 1838 an die Gräfin Waldner.

Doch auch das 1861 eröffnete Krankenhaus scheint noch nicht ausgereicht zu haben, denn um 1886 wurde die „nicht mehr aufschiebbare Erweiterung“ gefordert. Diese erfolgte 1893 mit dem Bau eines Küchengebäudes, einer Isolierabteilung und eines Pfründnerhauses.

Doch erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus dem wohl immer recht rückständigen Haus ein wirkliches Krankenhaus, dessen Entwicklung eng mit dem Namen von Dr. Walter Kauert verbunden ist. Er hatte sich 1918 in Weinheim niedergelassen und die durch den Kriegstod seines Sohnes verwaiste Praxis von Dr. Adam Karrillon übernommen. 1919 wurde Dr. Kauert Leiter des Städtischen Krankenhauses. Seine Frau Dr. Victoria Kauert stand mit ihm am Operationstisch und wurde während des Zweiten Weltkriegs, den ihr Mann als Oberstabsarzt mitmachte, zu Weinheims erster Chefärztin. Dr. Walter Kauert starb 1945 in Heidelberg.

Vier Erweiterungsbauten

Eine Freudenberg-Spende über 300.000 DM leitete 1954 den ersten Erweiterungs- und Operationsbau ein, der mit einem dreistöckigen Bettenbau die Bettenzahl auf 150 steigerte. Dr. Erich Graf, der erste Nachkriegs-Chefarzt des Städtischen Krankenhauses, nahm den rund eine Million DM teuren Neubau mit Genugtuung entgegen. Ihm folgten noch drei weitere Bauabschnitte, ohne dass damit die Nachteile des alten, letztlich aus sieben Gebäuden bestehenden hätten beseitigt werden können.

Die Lösung der Krankenhausprobleme konnte nur der Neubau des Kreiskrankenhauses mit 330 Betten bringen, den der Kreistag des Landkreises Mannheim 1972 in den Weststadt-Gewannen Hirschberger und Hammelsbrunnen beschloss, der dann aber Opfer der Kreisreform wurde. 1981 beschloss der neue Rhein-Neckar-Kreistag, in dem der alte Landkreis Mannheim aufgegangen war, die Übernahme der Krankenhaus-Trägerschaft in Weinheim und 1985 den Bau eines neuen Kreiskrankenhauses mit 230 Betten, das seit 1. Januar 1991 seine Aufgabe der Grund- und Regelversorgung im badisch-hessischen Raum um Weinheim erfüllt.

Mit diesem Tag endete die 130-jährige Geschichte des Städtischen Krankenhauses. Die Gebäude wurden 2001 abgerissen. Auf dem Areal entstanden der Tunnel und die Schlossberg-Bebauung.

Das erste Volksbad

Das zweite zeitgeschichtliche Gebäude auf der alten Postkarte ist das eingeschossige Volksbad. Es steht auf dem Areal, das der Stadtplan von 1907 „Bonengarten“ nennt, wurde 1895 als Duschbad eröffnet und verschwand 1971 mit der Krankenhaus-Erweiterung.

Neben dem Volksbad beim Krankenhaus mit der Fünfzehn-Pfennig-Dusche, in das die Volksschüler einmal wöchentlich zum Duschen geführt wurden, gab es in der 1913 eingeweihten Friedrichschule ein bereits mit Wannen und Duschen ausgestattetes, also wesentlich moderneres Volksbad. Und weil die Bewohner von Innenstadt und Nordstadt in diesen Volksbädern eine wöchentliche Bademöglichkeit hatten, sollte das Müll nicht nachstehen. Für die Müllemer öffnete die Firma Freudenberg freitags und samstags ihr Fabrikbad und ließ die Bürger für fünf Pfennige ein Brausebad nehmen.

Der große Münzenfund

Beim Bau eines Kanals vom Pfründnerhaus beim Krankenhaus zum Volksbad wurden kurz vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert 369 Silbermünzen gefunden, so genannte Halbbrakteaten, von denen 132 mit dem Bild von Trauben zu beweisen schienen, dass sie in Weinheim geprägt wurden. Die Münzen stammten aus der Zeit um 1200, doch leider gibt es in Weinheim nur ganz wenige dieser Silberbrakteaten. Die meisten der beim Volksbad gefundenen Münzen befinden sich im Kurpfälzischen Museum Heidelberg.

 

Letzte Erweiterung des Städtischen Krankenhauses in Weinheim mit offener Front nach Westen
Die letzte Erweiterung des Städtischen Krankenhauses schuf die offene Front nach Westen

Das Pfründnerhaus

Das Pfründnerhaus beim einstigen Städtischen Krankenhaus. 1925 wurde es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
Das Pfründnerhaus beim einstigen Städtischen Krankenhaus. 1925 wurde es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Nicht auf der Postkarte abgebildet, aber eng mit der Spitalgeschichte verbunden ist das Pfründnerhaus, von dem mehrfach schon die Rede war. Es gibt auch von dieser sozialen Einrichtung eine historische Aufnahme. In Pfründnerhäusern gewährte man Pfründnern, also vermögenden alten und gebrechlichen Menschen, gegen Entgelt Unterkunft und lebenslange Pflege. Das von den Pfründnern eingebrachte Vermögen brachte den soziale Einrichtungen wie ein Armenspital tragenden Stiftungen einen erheblichen Zuwachs an Mitteln. Die Aufnahme von Pfründnern wurde deshalb schnell zu einer Hauptaufgabe der Spitäler, doch in welchem Umfang die Einkünfte dann der Versorgung von Armen, Kranken und Notleidenden zugeführt wurden, ist nicht überliefert.

Der Farrenwärter Schmitt …

Das Weinheimer Pfründnerhaus beim Bohn’schen Hopf, 1893 erbaut, war wohl als privilegiertes Altersheim nicht sonderlich gefragt. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es in ein städtisches Wohnhaus umgewandelt. Hier wohnte ab 1906 der Farrenwärter Peter Schmitt mit seiner sechsköpfigen Familie und zusammen mit den Schmitts belebten zwei weitere Familien das Gebäude, das 1925 wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Der Neubau, noch im gleichen Jahr errichtet, wurde ein Stück weit zur Grundelbachstraße gerückt und erhielt 1956 einen Nachbarbau: das neue Feuerwehrgerätehaus.

Peter Schmitt war bis 1938 städtischer Farrenwärter und betreute den „Fasselstall“, wie die alten Weinheimer den Standort der städtischen Zuchtbullen nannten. Auf dem historischen Foto sind rechts vom Pfründnerhaus die Dächer des Farrenstalls zu sehen.

… ein stiller Held im Alltag

Peter Schmitt war – so hat es Daniel Horsch einmal festgehalten – ein „stiller Held im Alltag“. In nimmermüdem Einsatz habe er während des Ersten Weltkriegs neben seiner Arbeit für den Kommunalverband, die städtische Bewirtschaftungsstelle, 15 Kühe gefüttert, um hungrige Kleinkinder mit Milch versorgen zu können. Zugleich machte er für die Kriegsküche stets sechs Schweine schlachtreif. Arme und Alte konnten bei ihm in den harten Kriegswintern Holz und Kohle abholen. Umso mehr „wurmte“ es den Farrenwärter, wenn durchziehende Soldaten trotz des großen Mangels sein Heu und sein Stroh mitnahmen oder es für die Nachtlager in den Turnhallen beschlagnahmten. (1991/2002)

 

 

 

 

 

In den Stadtakten wird das Krankenhaus erstmals 1859 erwähnt und zwar als Aktennotiz zu einem Thema, das bis zur Eröffnung des Kreiskrankenhauses 1991, der heutigen GRN Klinik, in der Weinheimer Kommunalpolitik aktuell geblieben ist: der dringenden Notwendigkeit von Um- oder Neubauten. Bis dahin lag das Gesundheitswesen über viele Jahrhunderte im Argen, denn Unterbringung und Betreuung Kranker galten nicht als städtische Aufgaben: Wohlhabende konnten für sich selbst sorgen, Arme mochten Mildtätigkeit in Anspruch nehmen, etwa aus dem Ratsalmosenfonds.