Kriegsende 1918

Am 9. November 1918 blieb es „relativ ruhig”
Weinheim in den Tagen von Kriegsende und Revolution

von Heinz Keller

Weinheim. Das Weinheimer Geschichtsblatt beschränkt sich in der Jahrestafel 1918 auf eine Zeile: „9. November Revolution“. Das klingt nicht nach Umsturz und Unruhen. Die Tage um das Ende des Ersten Weltkriegs  blieben in Weinheim tatsächlich ohne besondere Vorkommnisse und so urteilten Ute Grau und Dr. Barbara Guttmann in ihrem Buch „Weinheim – Geschichte einer Stadt“: „Insgesamt verlief die November-Revolution in Weinheim relativ ruhig“.

Aber auch die beiden Historikerinnen bedau-erten, dass sie wenig aus einer wichtigen zeitgeschichtlichen Quelle schöpfen konnten, dem  „Weinheimer Anzeiger“ (WAz).  Die Lokalzeitung, die sich eher der bürgerlichen Mitte denn der Sozialdemokratie verpflichtet fühlte, beschränkte sich – auch weil sie wegen der drastisch verschärften Papierknappheit nur mit zwei Seiten Tagesumfang erscheinen konnte – in ihren ersten November-Ausgaben auf kurze Meldungen: über die anhaltende Krise in der Kaiserfrage, die Reise der deutschen Delegation zu den Waffenstillstandsverhandlungen mit den Entente-Mächten – ihr gehörte auch Alfred Graf von  Oberndorff aus Neckarhausen, ein Verwandter der Berckheims, als Vertreter der deutschen Reichsregierung in auswärtigen Fragen  an –, über den Kieler Matrosenauf-stand, die Ausrufung der Deutschen Republik durch den Sozialdemokraten Philipp Scheide-mann in Berlin und der Sozialistischen  Republik Baden durch die Unabhängige Sozial-demokratische Partei Deutschlands (USPD)  in Mannheim, und schließlich über die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. am 11. November.

Von der Bildung eines örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates aus zwölf Arbeitern und acht Soldaten am 6. November erfuhren die WAz-Leser allerdings erst am 11. November aus einer amtlichen Bekanntmachung, die von Bürgermeister Dr. Wettstein und Georg Stößer, dem Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrats, unterzeichnet war. Gemeinsam waren Stadtverwaltung und Arbeiter- und Soldatenrat bemüht, für Sicherheit und Ordnung in der Stadt zu sorgen. Dafür stellte ihnen der Gemeinderat eine „Ordnungswehr“ in Stärke von 150 bis 200 Mann zur Verfügung, die die Polizei bei der Aufrechterhaltung der Ordnung unterstützen sollte. Wachen wurden aufgestellt am Rathaus (heute Altes Rathaus), vor den Bankgebäuden der Reichsbank (heute VHS-Haus), der Rheinischen Creditbank (heute Deutsche Bank), der Bezirkssparkasse (heute Blaues Haus) und der Vereinsbank (später Grundbuchamt gegenüber dem Amtsgericht), vor der Post gegenüber dem „Goldenen Bock“ und am Bahnhof. Zum Schutz der Lebensmittelvorräte patrouillierten Mitglieder der Ordnungswehr auch am Lebensmitteldepot Zwischen Dämmen und vor der Nudelfabrik Zaiser (heute 3-Glocken-Center). Bewaffnet wurde die Ordnungswehr aus Beständen der Mannheimer Rüstungsfabriken und aus dem Arsenal der bei der Rheinüberquerung in Ludwigshafen entwaffneten Soldaten.

Der Anzeigenteil des „Weinheimer Anzeiger“ war oft die einzige Möglichkeit, sich über politische Aktivitäten in Weinheim zu informieren, wenn sie sich links von der  bürgerlichen Mitte abspielten. Etwa bei der Sozialdemokratischen Partei, die zu einem Vortrag des Mannheimer Landtagsabgeordneten Strobel über das aktuelle Thema „An der Schwelle des Friedens“ einlud, oder bei der USPD, die von Mannheim aus in Weinheim tätig wurde und zu einer Volksversammlung mit dem Thema „Die deutsche Revolution“ einlud.

Doch dem Arbeiter- und Soldatenrat, in dem zunächst Georg Stößer Sprecher der Arbeiter und Viktor Plath Sprecher der Soldaten war, wollten die Parteien, die sich damals häufig noch Vereine nannten, nicht die alleinige Sorge um die Bevölkerung überlassen. Auf Initiative des Fortschrittlichen Volksvereins Weinheim und seines Vorsitzenden Julius Zaiser (Inhaber von 3 Glocken) wurde am 10. November aus Vertretern aller politischen Parteien nach dem Vorbild anderer badischer Kommunen ein Wohlfahrtsausschuss gebildet, der „die zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmten Organe in Zeiten der Not unterstützen und der Bevölkerung  mit Rat und Tat zur Seite“ stehen sollte.

Der Fortschrittliche Volksverein, der sich Ende November der neuen liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) anschloss, war im November 1918 die optisch aktivste, weil vom „Weinheimer Anzeiger“ großzügig unterstützte politische Kraft. Sie warb für die Zusammenarbeit der bürgerlichen Mitte mit der gemäßigten Sozialdemokratie beim Aufbau einer „modernen, vom Geiste sozialen Fortschritts erfüllten Demokratie“ und bei der Abwehr radikaler Strömungen von links und rechts. Max Kadisch, Redakteur des „Weinheimer Anzeiger“, forderte neben dem Arbeiter- und Soldatenrat einen Bürgerrat und der junge Richard Freudenberg, der in diesen Tagen seine politische Karriere startete und in der jungen DDP zum 2. Vorsitzenden hinter Julius Zaiser gewählt wurde, unterstützte ihn dabei. Gleichzeitig warb Freudenberg für die Unterstützung Friedrich Eberts (SPD) und seiner Ziele.

Die Ereignisse im November 1918 bleiben dann wohl doch mit mehr als nur einer Zeile in der stadtgeschichtlichen Erinnerung.