Kriegsküche und Kriegsküchengarten

Als plötzlich die Männer weg waren

Frauen arbeiten in der Weinheimer Kriegsküche
Die Kriegsküche stand, wie die Kriegsschuhflickerei, unter der Leitung von Ella Andreae (im weißen Kopftuch). Neben ihr die Hauswirtschaftslehrerin Wilhelmine Wahl, die stellvertretende Leiterin der Kriegsküche.

von Heinz Keller

Eine warme Mahlzeit, wenigstens einmal am Tag. Was für die meisten von uns selbstverständlich ist, war vor 100 Jahren etwas Besonderes. Denn der Winter 1916/17 ging als „Hungerwinter“ in die Geschichte ein. In Weinheim und vielen anderen Kommunen wurde deshalb eine Kriegsküche eingerichtet, um den Menschen zu helfen, die besonders unter Mangelernährung litten.

Steckrübenwinter

Deutschen befand sich im dritten Winter des Ersten Weltkriegs. Man nannte ihn später auch „Kohlrübenwinter“ oder „Steckrübenwinter“, weil der Mangel an Kartoffeln die Kohlrübe zum wichtigsten Nahrungsmittel gemacht hatte. Es herrschte eine bittere Hungersnot, dazu war es noch eiskalt. Denn zur Ernährungskrise – aus dem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und dem Verlust der Lebensmittel-Importe durch eine wirkungsvolle britische Seeblockade in der Nordsee entstanden – war eine extreme Kälte gekommen, der viele Menschen bei völlig unzureichender Versorgung mit Heizmaterial schutzlos ausgeliefert waren. Denn nach der Einberufung der Waldarbeiter zum Kriegsdienst konnte in den Wäldern kein Holz mehr geschlagen werden.

Gründung von Suppenküchen

Die durchschnittliche Lebensmittel-Versorgung sank auf 1.000 Kalorien pro Tag, die Hälfte des Mindestbedarfs. Kein Wunder bei Tagesrationen von nur fünf Scheiben Brot, fünf Gramm Butter, 20 Gramm Zucker und etwas Fleisch. In dieser Situation gründeten die Kommunen so genannte Kriegs- oder Suppenküchen zur Versorgung weiter Teile der Bevölkerung. Um die knappen Lebensmittelvorräte möglichst sparsam einzusetzen und gleichmäßig zu verteilen, eröffnete die Stadt Weinheim am 6. November 1916 in den Räumen der Frauenarbeitsschule am Rande des Dürreplatzes (heute Zufahrt zur Tiefgarage) eine „Kriegsküche“.

Im Juli 1916 hatte der Gemeinderat sechs Damen aus den Weinheimer Frauenvereinen in eine Kommission zur Planung und Verwaltung der Kriegsküche berufen. Unter ihnen waren Hedi Freudenberg-Bertram und Ella Andreae aus dem Vorstand der 1911 gegründeten Weinheimer Ortsgruppe des Badischen Verbandes für Frauenbestrebungen, der mit 4.500 Mitgliedern zu den größten Verbänden im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF)zählte, der bürgerlichen Frauenbewegung zuzurechnen war und 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst wurde.

Hedwig (Hedi) Freudenberg (1886-1980), die Ehefrau von Gründerenkel Hermann Ernst Freudenberg (1881-1920), Ella Andreae (1874-1961) entstammte der angesehenen Frankfurter Druckerfamilie Andreae und wohnte in der Bismarckstraße. Ihre Schwester Melli war mit Dr. Dietrich Bender verheiratet, dem letzten Leiter des Benderschen Instituts, das 1876 mit der Höheren Bürgerschule verbunden worden war und die Vorgänger-Institution des heutigen Werner-Heisenberg-Gymnasiums ist. Ella Andreae hat dem Stadtarchiv einen Bericht über die Arbeit der Weinheimer Frauen im Ersten Weltkrieg hinterlassen.

Ella Andreae

Arbeit der Frauenvereine

Die 1911 im Hause Freudenberg, also wohl im Hermannshof, gegründete Ortsgruppe des Badischen Verbandes für Frauenbestrebungen war, wie der seit 1844 als Zusammenschluss der Frauen der Weinheimer Oberschicht bestehende Frauenverein, vornehmlich damit beschäftigt, die rasch um sich greifende Not zu lindern. Die Frauenvereine unterstützten Familien gefallener oder verwundeter Soldaten, engagierten sich in der Wohnungs-, Kranken- und Kinderfürsorge, betrieben Volksküchern und koordinierten die dringend benötigte Heimarbeit der Frauen.

In Zusammenarbeit mit dem Generalkommando des XIV. Armeekorps in Karlsruhe, dessen erster Kommandeur General August von Werder war – an ihn erinnern in Weinheim das Werder-Denkmal, die Werderstraße und die Werderanlage entlang der Weschnitz – führten 60 Frauen des von Stadtrat und Lederfabrikant Max Hirsch kaufmännisch begleiteten Verbandes für Frauenbestrebungen Näharbeiten in Heimarbeit durch. Als Frauen zunehmend in die Fabriken gerufen wurden, um die unbesetzten Arbeitsplätze ihrer zum Kriegsdienst eingezogenen Männer einzunehmen, wurde die Abteilung Heimarbeit aufgelöst.

Aufbau des Kriegsküchengartens

Ella Andreae erhielt von der Stadt Weinheim den Auftrag, eine Kriegsküche einzurichten und einen Wirtschaftsgarten anzulegen. Dafür musste der FV 09 Weinheim sein Spielfeld beim städtischen Schlachthof (heute Bauhof an der Viernheimer Straße) räumen, das, wie der Bürgerpark und der Waldspielplatz, in einen Kriegsküchengarten umgewandelt wurde.

Die Bemühungen, den schlechten Boden nördlich der heutigen Johann-Sebastian-Bach-Schule zu verbessern, wurden vom Schlachthaus, dem Gaswerk (heute Stadtwerke) und der Firma Freudenberg unterstützt. Ein Kriegsgefangener aus Bessarabien, einem historischen Gebiet in Südosteuropa, leitete den Anbau und die Verarbeitung von Mohn, dessen Öl den Fettbedarf der Küche deckte und dessen Ölkuchen zum Füttern der Schweine verwendet wurden, die für die Kriegsküche gehalten und geschlachtet wurden. Zum Süßen der Speisen wurden Zuckerrüben angebaut, die Obsternte wurde auf einer von der Hildebrandmühle bereitgestellten Dörre getrocknet. Die Kartoffeln, das Gemüse und die Kräuter stammten aus dem Kriegsküchengarten.

Für die Einrichtung der Kriegsküche erhielt Ella Andreae einen städtischen Vorschuss von 500 Mark zur Beschaffung von Lebensmitteln. Die Lederwerke Sigmund Hirsch spendeten 200 Mark für Einrichtungsgegenstände. Max Hirsch stellte große Sauerkrautfässer und eine Badewanne zum Waschen von Obst und Gemüse zur Verfügung, die Hildebrandmühle half mit zwei Großkesseln und einer Kochkiste aus, in der das Essen warm gehalten wurde.

Um 10 Uhr kamen die Buben aus der Volksschule und holten Suppe, um 12 Uhr wurden Suppe und Eintopfessen an die Erwachsenen ausgeben, die dafür 40 Pfennige bezahlten.

Gehalt nicht üppig

Als stellvertretende Leiterin der Kriegsküche stellte die Stadt die Hauswirtschaftslehrerin Wilhelmine Wahl aus Mosbach ein. Mit 60 Mark im Monat bei freier Station war ihr Gehalt nicht gerade üppig bemessen. Die fünf Hilfskräfte in der Kriegsküche erhielten einen Stundenlohn von 26 Pfennigen.

In ihrer Arbeit für die Kriegsküche erhielt Ella Andreae offenbar viel Unterstützung von „ihren Mitarbeitern, die zwischen 15 und 60 Jahren sich einfanden, wie sie in ihrem Bericht über die Arbeit der Kriegsküche feststellte.