Marshallplan-Zug machte Station in Weinheim
von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Marshallplan-Zug hieß der aus 15 Schnellzug-Waggons zusammengestellte, 330 Meter lange Ausstellungszug, der am 16. Juni 1950 für einen Tag im Weinheimer Bahnhof stand und bis zum Abend 1.700Besucher hatte. Am 29. Mai war der Zug von Stuttgart aus auf die Reise in knapp 30 Städte des damaligen Landes Württemberg-Baden geschickt worden und über Heidelberg und Mannheim nach Weinheim gekommen. Als er Mitte Juni seine Reise durch das Land in Schorndorf beendete, hatten 270.000 Menschen die „rollende Werbekampagne” für den Wiederaufbau Europas aus Mitteln des European Recovery Program, kurz ERP, erlebt.
Der Zug sollte den Deutschen Hoffnung machen und das gelang ihm auch. Nach seiner Rundreise durch Württemberg-Baden startete der Marshallplan-Zug ins Rheinland und ins Ruhrgebiet, 1951 führte seine dritte Fahrt entlang der französischen und schweizerischen Grenze. Auf den drei Fahrten machte er an 100 Stationen Halt und hatte schließlich über zwei Millionen Besucher.
Viledon aus Weinheim
In den 15 Waggons dieses ungewöhnlichen Informationsmediums konnte sich die Bevölkerung, über die heute etwas in Vergessenheit geratene Bedeutung des Marshall-Plans für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs informieren. Jeder einzelne Waggon präsentierte anschaulich ein bestimmtes, mit Mitteln des Marshall-Plans gefördertes Wirtschaftsgebiet und alle Lebensbereiche wurden von der „Schnellzug-Messe” angesprochen: Wohnung, Nahrung, Kleidung, Industrie, Landwirtschaft, Handel, Energiewirtschaft. 380 deutsche Unternehmen, darunter Carl Freudenberg mit Viledon-Produkten, unterstrichen mit ihren Spitzen- und Exporterzeugnissen die Fortschritte, die sie mit finanzieller Unterstützung der USA, aber auch mit der Arbeit und dem Fleiß ihrer Mitarbeiter erzielen konnten.
„Wir alle waren uns darüber im Klaren, dass mit dem Vertrag über den Beitritt zum Marshall-Plan der erste Schritt zur Wiedereingliederung Deutschlands in die politische und wirtschaftliche Welt getan wurde”, stellte damalige Bundestagsabgeordnete Richard Freudenberg bei der Ankunft des Marshallplan-Zugs in Weinheim fest.
Fünf-Sterne-General und Diplomat
Der Zug transportierte die Botschaft „von der Zusammenarbeit der Völker und Länder für wirtschaftlichen Wiederaufbau, für Frieden und Freiheit”, er vergaß aber auch nicht den Hinweis auf den Menschen, der dieses gewaltige Hilfsprogramm in den USA durchgesetzt hatte: George C. Marshall, Fünf-Sterne-General und für Winston Churchill „der Organisator des alliierten Sieges” im Zweiten Weltkrieg, 1947 US-Außenminister im Kabinett Truman,1953 Friedensnobelpreis-Träger. 1959 erhielt Marshall den Karlspreis der Stadt Aachen.
Soforthilfe
Doch wie kam es zum Marshall-Plan? Nach den verheerenden Kälte- und Hungerwintern in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs waren die Deutschen der Verzweiflung nahe. Bei einer Inspektionsreise erlebte der amerikanische Außenminister Georg C. Marshall diesen Zustand und forderte amerikanische Soforthilfe für den Wiederaufbau. „Der Patient Europa liegt im Sterben” warnte er die Zweifler in Washington, denen die erforderlichen Hilfsleistungen viel zu teuer waren. In einer vielbeachteten Rede an der Harvard Universität machte Marshall im Juni 1947 seinen Landsleuten klar, dass es in ihrem eigenen Interesse liege, Europa und vor allem dem Pufferstaat Deutschland humanitär und vor allem wirtschaftlich auf die Beine zu helfen.
Am 3. April 1948 verabschiedeten die USA das ERP-Programm. Danach sollten innerhalb von vier Jahren 14 Milliarden Dollar nach Westeuropa fließen, davon 1,4 Milliarden Dollar nach Westdeutschland. Das European Recovery Program (ERP) hieß schnell „Marsahll-Plan”. Mit dem Slogan „Freie Bahn dem Marshall-Plan” verkündete es die US-Propaganda den Deutschen über Rundfunk, Zeitungen, Plakate – und den Marshallplan-Zug.
Die Botschaft kam an und wirkt bis in die Gegenwart. Noch heute verdanken viele Existenzgründer ihre Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die aus dem ERP hervorging.
(2025)
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