Vor 50 Jahren: Baumann-Plan und Sportförderung
Der Weg zum Sepp-Herberger-Stadion
Auch für den Sport war 1970 ein bedeutendes Jahr

von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Auch für den Sport in Weinheim war 1970 ein bedeutsames Jahr. Die WN titelten: „Der Sport kann in Weinheim eine gute Zukunft haben“ und zwar durch „die großzügige Leitplanung für die Erweiterung des Stadions zu einer Bezirkssportanlage”. Der nach dem Stuttgarter Ingenieurbüro genannte Baumann-Plan gab dem im Stadtkern häufig von räumlicher Enge belasteten Sport eine neue Heimat in der wachsenden Weststadt, erfüllte aber nicht nur Sportstätten-Bedürfnisse von Tennisspielern und Fußballern, sondern schuf auch ein Nebeneinander von Sportanlagen auf 30 Hektar Fläche, dem Erholungsgebiet am Waidsee mit 25 Hektar Wasserfläche und 15 Hektar Erholungs- und Liegefläche, und dem landwirtschaftlich genutzten Grünzug auf der Lützelsachsener Gemarkung und auf der Ofling.
Das ursprünglich auf der Kleingartenanlage, dem heutigen Hotelstandort, geplante Bundesleistungszentrum des Deutschen Kegler-Bundes kam zwar nicht zustande, aber mit den Tennisanlagen des TC 02 Weinheim, dem Hector Sport Center, dem AC-Sportpark, den Tennisanlagen des TV Grün-Weiß und des TC Lützelsachsen, dem Minigolf- und dem Bouleplatz, schließlich dem Strandbad am Waidsee und der Anlage des WWSC ist rund ums Sepp-Herberger-Stadion eine Sportstätten-Meile entstanden, die Weinheims Ruf als Sportstadt unterstreicht.
Beispielhafte Sportförderung
Als „einmalig für eine Stadt von der Größe Weinheims” und als „Bekenntnis der Stadt zur Arbeit ihrer Sportvereine” wurden auch die neuen Sportförderungs-Richtlinien bei ihrer Verabschiedung im Mai 1970 gewürdigt. Sie wurden vielen deutschen Kommunen zum Beispiel großzügiger Vereinsförderung durch die Bereitstellung städtischer Sportstätten, die Unterstützung bei der Unterhaltung und dem Bau vereinseigener Sportstätten, durch Zuschüsse bei der Gerätebeschaffung, die Übernahme von Ausfallgarantieren für große Veranstaltungen und durch die Unterstützung von Startern bei nationalen und internationalen Meisterschaften.
Das erste Stadion
Vor 1955 hatte Weinheim offiziell kein „Stadion”, aber das, was ein klassisches Stadion ausmacht, durchaus: ein von einer Laufbahn umrundetes Spielfeld gab es auf dem Waldspielplatz und auf dem Jahnplatz. In Weinheims schwierigsten Tagen, 1946, diskutierte die städtische Sportkommission ein Projekt „Städtisches Sportstadion im Gorxheimer Tal” und dachte dabei wohl an den Ausbau des Waldspielplatzes zum Stadion, denn das Spielfeld und die Aschenbahn waren ebenso vorhanden wie weitere leichtathletische Anlagen und Umkleideräume. Daraus wurde nichts und auch der 1947 aktuelle Gedanke, auf der Kuhweide ein Stadion zu bauen, ließ sich nicht verwirklichen.
Die Vorstellung, Weinheims Sportlern in der Weststadt moderne und großzügige Übungs- und Wettkampfstätten zur Verfügung zu stellen, zu denen auch ein Freibad gehören sollte, blieb allerdings ein kommunalpolitisches Dauerthema und am 20. Juli 1955 beschloss der Hauptausschuss des Gemeinderats, „dem FV 09 im 3. Gewann Allmendäcker ein fünf Hektar großes Gelände in Erbbaurecht zu überlassen”. Die Nullneuner, die von ihren Spielstätten schon zweimal hatten weichen müssen – vom Sportplatz beim Schlachthof wegen der Anlage des Kriegsküchengartens, vom Stahlbad-Platz wegen des Baues der Dietrich-Eckardt-Siedlung – sollten bis 1957 den seit 1936 genutzten Naturin-Sportplatz räumen, weil hier der Sportstättenbau als Kombination von Hallenbad und Sporthalle entstehen sollte. Für diesen vierten Wechsel – von 1945 bis 1947 war der Naturinplatz von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und die Nullneuner spielten auf dem Waldspielplatz – baute die Stadt 1956 im 3. Gewann Allmendäcker eine städtische Sportanlage, die dem FV 09 Weinheim zur Verfügung gestellt wurde. Das Spielfeld war umrahmt von einer Aschenbahn, ein Umkleidegebäude und das Platzwarthaus ergänzten die Anlage, die sich allerdings nicht lange „Sportplatzanlage im 3. Gewann Allmendäcker” nennen ließ, auch nicht einfach „Stadion”. In Zeiten zahlreicher Vereinsgründungen in der rasant wachsenden Weststadt, die meist den Zusatz „West” oder „Weststadt” trugen, erhielt auch die neue Sportanlage in den 1960er Jahren den Namen „Weststadt-Stadion”.
Große Veranstaltungen
Im Weststadt-Stadion richtete die 100-jährige TSG 1862 Weinheim die Deutschen Leichtathletik-Jugendmeisterschaften 1962 aus und empfing die deutschen Nationalstaffeln der Männer und Frauen zu Sichtungsläufen. 1965 fanden die Süddeutschen Leichtathletik-Meisterschafften auf der Anlage statt, die nicht nur Übungsstätte der Leichtathleten war, sondern auch Unterrichtsstätte für die Schulen Weinheims. Oft mussten die Wettkämpfe allerdings unterbrochen werden, wenn Regenschauer die Bahn überschwemmten, oft mussten Wettbewerbe ganz abgesagt werden, wenn das Wasser von den Anlagen nicht wegzubringen war. In der Saison zwischen Mitte April und Ende September ging mitunter ein Drittel der Benutzungszeit durch Witterungseinflüsse verloren, die den Zerfall der Aschenbahn beschleunigten.
Kunststoff statt Asche
Der Belag des Ovals musste nach zehn Jahren dringend erneuert werden. „Keine neue Aschenbahn, sondern eine Kunststoffbahn” rieten die Leichtathleten und die Sportlehrer 1968 dem Gemeinderat, doch der winkte ab und verwies auf einige Schwierigkeiten, die es mit der Kunststoffbahn beim Gymnasium gegeben hatte. 1969 sammelte der Technische Ausschuss des Gemeinderats bei einer Besichtigungsfahrt zu Kunststoffbahnen gute Erfahrungen und verband sie mit der Empfehlung von Heinz Schneider, Kampfrichterobmann im Badischen Leichtathletikverband (BLV), und Norbert Beller, Sportlehrer am Gymnasium Weinheim, sich für den geringeren Pflegeaufwand und den höheren Benutzungsgrad einer Kunststoffbahn zu entscheiden. Der Gemeinderat sprach sich im Juli 1969 einstimmig für die Instandsetzung der Leichtathletik-Anlagen im Weststadt-Stadion mit dem elastischen Allwetterbelag „Akus” aus, einem von der BASF entwickelten Kunststoff, und stellte dafür 550.000 DM zur Verfügung.
Ein Jahr später, nach einem ausgesprochen harten, die Arbeiten oft verzögerndem Winter, hatte Weinheim, wie wenige andere Städte in der Bundesrepublik, seine Kunststoffbahn, rechtzeitig vor den Süddeutschen Leichtathletik-Meisterschaften 1970. Der in Laudenbach beheimatete Akus-Kunststoff-Sportbau übergab die Anlage im Juli an die Stadt und Akus-Chef Hans Kohl wies stolz darauf hin, dass in Weinheim erstmals auch der Wassergraben für den 3.000-Meter-Hindernislauf mit Kunststoff belegt war.
Afrika und China schauten
Mit deutschen Meistern und Olympia-Teilnehmern wurde die neue Anlage eingeweiht. Sie fand schnell internationales Interesse 1972 bereiteten sich Nigerias Leichtathleten in Weinheim auf die Olympischen Spiele in München vor, für die Panafrikanischen Spiele 1973 wurden, nach Weinheimer Vorbild, im Nationalstadion von Lagos Kunststoffanlagen von Akus verlegt. 1973 kam eine zehnköpfige chinesische Studiengruppe von Sportanlagenbauern direkt vom Stuttgarter Deutschen Turnfest nach Weinheim. Die Architekten und Ingenieure aus Peking, Shanghai und Tianjin, (noch) in den schlichten blaugrauen Mao-Look gekleidet, besuchten auf Einladung der Bundesregierung Deutschland und interessierten sich für bauliche und organisatorische Schwerpunkte des deutschen Sports. Die Anlage in Weinheim muss ihnen imponiert haben, denn ihr Leiter Li Kai-Ping, Leitender Staatssekretär im Ministerium für Körperkultur und Sport der Volksrepublik China, sparte nicht mit Anerkennung.
Im Sepp-Herberger-Stadion …

1974 richteten die TSG-Leichtathleten den Endkampf um die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft (DMM) aus und die Länderkämpfe der Zehnkämpfer und Fünfkämpferinnen aus der Sowjetunion, Polen und Deutschland. 1977 fanden die wichtigsten Wettkämpfe des Badischen Landesturnfestes im Weststadt-Stadion statt, das 1978 den Namen des Weinheimer Ehrenbürgers Sepp Herberger erhielt. Zur Taufe am 23. September 1978 kamen die A-Jugend-Nationalmannschaften von Deutschland und Österreich nach Weinheim. Sepp Herberger konnte diesen Tag nicht mehr erleben, er war am 28. April 1977 verstorben, vier Wochen nach seinem 80. Geburtstag.
… endlich eine Tribüne
Zwölf Jahre lang sahen die Zuschauer auch die Spiele des FV 09 von einem Tribünenwall aus, auf dem, ziemlich verloren, ein kleiner, bescheidener Wetterschutz thronte, der nicht nur einem Wartehäuschen an der Bushaltestelle glich, sondern auch so genannt wurde. 1977 verschwand das „Wartehäuschen“ bei einer Stadion-Erweiterung, die endlich einen Tribünenbau und 2.000 überdachte Sitzplätze brachte.
1985 hatte die fünfzehn Jahre zuvor so gefeierte Kunststoffbahn ausgedient. Der federnde Belag war hart und brüchig geworden, bei Regen und Frost bildeten sich Risse in der Bahn, die für viel Geld nur notdürftig repariert werden konnte. Deshalb musste der Gemeinderat noch einmal fast eine Million DM für die Erneuerung der Kunststoffbahn zur Verfügung stellen, die aber seitdem ein Mekka für Sprinter und Springer ist. Nationale und internationale Spitzensportler kommen nach Weinheim, um die Normen für die Teilnahme an Europa- und Weltmeisterschaften zu erfüllen.
(2020, © www.wnoz.de)