Der Mann, der Weinheim den Sommertagszug schenkte

Sandsteinplatte für Franz Josef Heisel
An der äußeren Schlossparkmauer der Obertorstraße erinnert seit 1977 eine Sandsteinplatte an Franz Josef Heisel Bild: WN-Archiv

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Wenn die Teilnehmer am Sommertagszug am Sonntag auf dem Weg zur Endstation Schlossparkwiese die Straße passieren, die zum Obertor führt, dann sollten sie einen kurzen Blick auf die äußere Schlossparkmauer werfen, an der eine Sandsteinplatte an Franz Josef Heisel (1853-1913) erinnert, de n Begründer des großen Weinheimer Kinderfestes am Sonntag Laetare.

Die Platte wurde am 18. März 1977 enthüllt mit dem Hinweis, dass der erste Kinderzug 1902 stattgefunden hat. Davon ist bereits der Gemeinnützige Verein Weinheim ausgegangen, als er am 27. März 1927 zum „Jubiläums-Sommertagszug” einlud. Entsprechend standen die Züge 1952 und 1972 ebenfalls im Zeichen von Jubiläen und auch der Sommertagszug 2002 wurde als Jubiläumszug gefeiert.

Ein schriftlicher Nachweis, dass der erste Sommertagszug 1902 durchgeführt wurde, fehlt allerdings in der Stadtgeschichte, aber Erinnerungen alter Weinheimer bestätigen das Bemühen Heisels um die Einführung des Kinderfestes in Weinheim in diesem Jahr. WN-Leser Walter Böhler wusste aus Erzählungen seiner Mutter, dass sie damals als sechsjährige Katharina Rettig dabei war, als ein kleiner Kreis von Kindern 1902 im Stahlbad einen Umzug veranstaltete und dabei das Sommertagslied sang.

Franz Josef Heisel (Fotoportrait)
Franz Josef Heisel (1853-1913) Bild: Stadtarchiv

Besitzer des Stahlbads war damals Franz Josef Heisel.
Als Pfälzer, geboren in Edesheim, war er mit dem vor allem in der Kurpfalz gepflegten Brauch des Sommertagszugs vertraut.
Und Heisel war Vorsitzender der Gesellschaft Lexikonia, deren Mitglieder sich im Hotel „Prinz Wilhelm” (heute Polizeirevier Weinheim) trafen. Über die Gesellschaft ist weiter nichts bekannt, aber man darf annehmen, dass es sich um eine Lesegesellschaft handelte, in der man sicher auch über den Heidelberger Sommertagszug sprach, der seit 1893 in der gesamten Region zum Vorbild für Kinderzüge geworden war. Heisel meinte wohl, dass auch Weinheim ein Kinderfest zum Frühlingsbeginn haben sollte. Deshalb lud er die Weinheimer Kinder ein, in den Park des Stahlbads zu kommen und mit ihm den Text und die Melodie des Sommertagsliedes zu erlernen, wie es in Heidelberg gesungen wurde. Möglicherweise wollte er seinen skeptischen Mitbürgern auch zeigen, wie er sich das Kinderfest vorstellte, und den kleinen Festzug durch den Stahlbad-Park als Generalprobe für ein Kinderfest der ganzen Stadt nutzen. Über die Hintergründe der Einladung im März 1902 ist leider nichts bekannt.

Auch im März 1903 lud Heisel die Weinheimer Kinder ins Stahlbad ein. Und er fand diesmal mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Nach einem Bericht des „Weinheimer Anzeiger” vom 16. März 1903 „mögen gestern wohl 1.500 Kinder anwesend gewesen sein, an welche das Sommertagslied vertheilt wurde. Gleichzeitig wurde das Lied, welches ja den Effect des Ganzen bildet, durchgeprobt und wurde, wie nicht anders zu erwarten war, flott gesungen”.

„Nun kann der erste Sommertag kommen”, formulierte die Heimatzeitung die Vorfreude auf das Kinderfest. Seit Jahresbeginn 1903 liefen die Vorarbeiten für diesen ersten offiziellen Sommertagszug und der „Weinheimer Anzeiger” begleitete sie mit regelmäßigen Zeitungsberichten. Erstmals am 9. Februar 1903: „Wie wir gestern in Erfahrung brachten, hat die Gesellschaft Lexiconia (Sitz Prinz Wilhelm) vor, unter Leitung des Herrn Heisel, so wie in altherkömmlicher Weise in Heidelberg der Sommertag gefeiert wird, dieses schöne Fest zum erstenmal in Weinheims Mauern aufzuführen”.

Der „Weinheimer Anzeiger” unterstützte die „Aktion Sommertagszug” mit Tipps, die fast täglich erschienen: „Bei Herrn Friseur Binz ist ein großes, farbenprächtiges Bild, den Sommertagszug darstellend, ausgestellt, wonach man die Herstellungsweise der verschiedenen Stöcke und Strohmänner ersehen kann”. Und: „Auskunft über die Herstellung der Strohmänner … erteilt Herr Schieferdecker Krämer”. Oder: „Wie wir soeben ersehen, sind im Schaufenster des Herr Schäffner dahier Postkarten vom Sommertagsfest ausgestellt”, natürlich vom Heidelberger Festzug. Dem Krönlein’schen Schullesebuch, einer damals sehr populären Sammlung von Texten zur Einführung in bestimmte Sachgebiete, entnahmen die Zeitungsmachen einen Beitrag über die Herkunft des Brauchtums. Er endete mit der Feststellung: „Das Sommertagsfest stammt aus einer Zeit, da die Leute in Heidelberg, im Odenwald und in der Pfalz noch Heiden waren”.

Sommertag-Fest-Zug 1903 a(zeitgenössische Fotografie)
Sommertag-Fest-Zug 1903 am Gänsemarkt, auf dem heute der Rodensteiner-Brunnen steht. Bild: EditionDiesbach

Über den 22. März 1903 schrieb der „Weinheimer Anzeiger”: „Bei herrlichem, klaren Frühlingswetter wurde gestern in unserer Stadt zum ersten Male der ‚Summerdag´ gefeiert. Punkt 3 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, über 2.000 Kinder aller Altersstufen, mit freudigem Stolz ihre bändergeschmückten Stäbe schwingend und mit Absingen des originellen Lieds ‚Strih, Strah, Stroh, de Summerdag is do´ dem Abzug des Winters und dem Nahen des Frühlings huldigend”. Die Begeisterung im Zug und am Rand der Straßen, die er auf dem Weg zum Marktplatz passierte, war riesengroß. Aber der „Erste Sommertag-Fest-Zug zu Weinheim” hatte eines nicht bedacht: der Zugweg von der Aufstellung bei der Lohmühle im Müll, dem offenen Bachbett des Grundelbachs entlang bis zum Petersplatz und dann durch die Hauptstraße zum Marktplatz war für die Kinder zu lang. Schon ein Jahr später korrigierte das Sommertagskomitee des Gemeinnützigen Verein als Veranstalter den Zugweg auf die heutige Länge. Ihm gehörten an: Stadtrat Karl Zinkgräf, Fabrikant Adam Platz, Vereinsbank-Direktor Philipp Zinkgräf, Gärtner Valentin Schropp und Kunstgärtner Heinrich Schropp. Franz Josef Heisel brachte seine Erfahrungen aus dem kleinen Festzug 1902 und dem großen Festzug 1903 ein.

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