Stadtkapelle: volkstümliche Visitenkarte der Stadt

Die Feuerwehrkapelle Weinheim um das Jahr 1900.
Die Feuerwehrkapelle Weinheim um das Jahr 1900. Vermutlich ist das Bild bei einem familiären Waldfest aufgenommen worden. Bild: WN-Archiv

von Heinz Keller

Aus allen Himmelsrichtungen kamen 1970 am Kerwesonntag 15 Kapellen aus dem Gebiet des Volksmusikverbandes Odenwald-Bauland nach Weinheim und gratulierten der Stadtkapelle mit Standkonzerten an zehn Plätzen im Stadtgebiet, einem musikalischen Sternmarsch und einem Gemeinschaftskonzert von über 400 Musikern im Schlosspark zum 50. Geburtstag.

Das Jubiläum vor 50 Jahren bezog sich auf die Nachkriegsjahre 1919 und 1920. Nach vier Jahren Kriegsdienst war der damals 34-jährige Peter Hesse in seine Heimatstadt Weinheim zurückgekehrt. Er hatte im Infanterie-Regiment 235 an den Kämpfen in Frankreich und Belgien teilgenommen, auch an der verlustreichen, später von den Nationalsozialisten propagandistisch missbrauchten Flandernschlacht bei Langemark. Aus dem Militärdienst war Hesse als hochdekorierter Offiziersstellvertreter und Regiments-Kapellmeister entlassen worden. Mit nach Weinheim brachte er deshalb auch die Erfahrungen, die er als Militärmusiker gesammelt hatte. Denn zweimal war er, nach Langemark, mit der Aufstellung von Regimentskapellen beauftragt worden. Die Zusammenführung von Musikern in einem Orchester lag ihm auch zu Hause am Herzen und so bemühte er sich um die Zusammenführung der Weinheimer Kapellen Metz, Müller und Brockenauer in den „Vereinigten Musikkapellen Weinheim”. Das brachte den damaligen Feuerwehrkommandanten Carl Wild und den Kapellmeister Peter Hesse zusammen. 1919 scheiterte noch die Bildung der von Wild angestrebten Feuerwehrkapelle, doch 1920 gründete Hesse mit 22 Aktiven die Weinheimer Feuerwehrkapelle, mit der er und sein Stellvertreter Philipp Frey schnell einen festen Platz im Weinheimer Musikgeschehen erspielten. Die ältesten Weinheimer werden sich noch an die Konzerte im Musikpavillon des Hindenburgparks, des heutigen Bürgerparks, erinnern.

 

Eine Zeitungsnotiz

Pro-Musica-Plakette
Pro-Musica-Plakette. Bild: WN-Archiv

Die Gründung der Feuerwehrkapelle 1920 war der Anlass für die 50-Jahr-Feier 1970. Doch scheinen damals auch Erinnerungen an viel ältere Blasmusikkapellen aufgekommen zu sein, denn in den Folgejahren wurden Akten gewälzt und Protokolle durchgeschaut. Dabei stieß man auf eine Notiz im „Weinheimer Anzeiger”, in der 1867, fünf Jahre nach der Gründung der Freiwilligen Feuerwehr Weinheim, erstmals der Name „Feuerwehrkapelle” auftauchte. Der damalige Schriftführer hat seine Aufgabe wohl nicht sehr ernst genommen, denn die Unterlagen über ihr Wirken sind sehr spärlich. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab wohl ein Kapellmeister Abel den Ton an, bis 1919 führte Peter Müller den Taktstock, 1920 Georg Müller. Dann begann eine Ära, die 42 Jahre währte: Peter Hesse übernahm die musikalische Leitung der Stadt- und Feuerwehrkapelle.

Durch die verspätete Entdeckung dieser Geschichte wurde zwar die Hundertjahrfeier 1967 verpasst, doch zehn Jahre später, im September 1977, konnte das stolze, auf eine Zeitungsnotiz gegründete Ereignis nachgefeiert werden. In der Stadthalle rahmte ein festlich-volkstümliches Konzert die Überreichung der Pro-Musica-Plakette, die Bundespräsident Walter Scheel der Stadtkapelle in Würdigung ihrer langen Geschichte und ihres bedeutsamen musikalischen Wirkens verliehen hatte. Hermann Rößling, der seit 1938 die Geschäfte der Stadtkapelle führte, nahm die hohe Auszeichnung entgegen, die als Ehrenzeichen der Bundesrepublik für musikalisches Wirken frühestens anlässlich des 100-jährigen Bestehens einer Musikvereinigung vom Bundespräsidenten verliehen wird.

Fastnachtsumzug mit Peter Hesse und seinen Stadtmusikern
Auch bei den Fastnachtsumzügen in der Region waren Peter Hesse und seine Stadtmusiker dabei

Der Abend bot Gelegenheit, der seit 1963 ohne den Zusatz Feuerwehrkapelle auftretenden Stadtkapelle Dank zu sagen, dass sie über viele Jahrzehnte hinweg alle bedeutenden Veranstaltungen in Weinheim musikalisch begleitete. Die bis zu 40 Jahresauftritte beginnen stets mit dem Neujahrsempfang und reichen über den Sommertagszug, die Studententagung und die Kerwe bis zu den Martinszügen und dem Volkstrauertag, sie schließen sommerliche Schlossparkkonzerte und musikalische Weihnachtsgeschenke an die Bürgerschaft und die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen ein. Über Jahrzehnte hinweg hat die Kapelle mit ihrem breitgefächerten Repertoire vielen Menschen große Freude bereitet.

 

Das Gesicht der Kapelle

Peter Hesse in Feuerwehr-Uniform
So ist er in Erinnerung: Peter Hesse in Feuerwehr-Uniform

Die Geschichte der Stadtkapelle ist untrennbar verbunden mit dem verdienstvollen Wirken ihres langjährigen Dirigenten Peter Hesse. 42 lange Jahre, von 1920 bis 1962, leitete er die Kapelle in guten und in schlechten Tagen. „Aus der Stadt- und Feuerwehrkapelle hat er einen Klangkörper gemacht, der über Weinheim hinaus großen Anklang im Land findet”, sagte Präsident Karl Sommer vom Badischen Volksmusikverband im April 1965, als er Peter Hesse anlässlich seines 80. Geburtstages die Goldene Ehrennadel des Bundes Deutscher Blasmusikverbände überreichte und dabei an die hervorragenden Leistungen der Weinheimer bei den Musikfesten in Mosbach und Offenburg erinnerte.

Bei seinem Abschied 1962 wurde Peter Hesse zum Ehrenkapellmeister ernannt. Die Jubiläumstage 1970 durfte er nicht mehr erleben. Im Alter von fast 85 Jahren legte Peter Hesse im März 1970 den Takstock endgültig aus der Hand.

Wohlwollender Kronprinz

Zu den Erinnerungen an Peter Hesse gehört eine Geschichte, die er selbst gern erzählte. Als 1929 wegen der Pfalz-Besetzung durch die Franzosen die Wiedersehensfeier eines ehemaligen deutschen Infanterie-Regiments in Weinheim stattfand, sorgte die Stadt- und Feuerwehrkapelle für den musikalischen Rahmen. Dafür erhielt sie vom letzten Kommandeur dieses Regiments, Generalleutnant Dänner, Lob und Anerkennung – und wurde im folgenden Jahr nach Landau eingeladen. Hier nahm der letzte bayrische Kronprinz Ruprecht die Parade ab und äußerte sich anschließend „sehr wohlwollend” über die flotte Musik der Weinheimer unter Peter Hesse.

Hesses Nachfolger

Von 1962 bis 1972 leitete Musikmeister Georg Fischer die Stadtkapelle, ihm folgten Adolf Beutel, Jacob Kaiser, Peter Rutz und Karl Wolfshörndl, der nach fast 30 Dirigentenjahren zum Ehrendirigenten ernannt wurde. Seit 2010 ist Sebasstian Blauth musikalischer Leiter der Stadtkapelle, um deren Geschäfte sich jahrzehntelang erst Hermann Rößling und dann Hermann Gräber verdienstvoll kümmerten. (2020)

Schlossparkkonzert unter Adolf Beutel

Schlossparkkonzert unter Adolf Beutel

Festlich-volkstümliches Konzert zur Verleihung der Pro-Musica-Plakette

Festlich-volkstümliches Konzert zur Verleihung der Pro-Musica-Plakette