Die Wachenburg – verloren, bewahrt und zurückgegeben
Zeitgeschichte: Vor 75 Jahren machte der Gemeinderat nationalsozialistisches Unrecht wieder gut.
von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Zwei Daten der jüngeren Vergangenheit spiegeln Stadtgeschichte und Zeitgeschichte: der 20. Dezember 1939, als die Weinheimer Corpsstudenten ihre Wachenburg verloren, und der 15. Mai 1950, als sie ihnen zurückgegeben wurde.
Rückblende
Am 20. Mai 1912 unterzeichneten Weinheims Bürgermeister Heinrich Ehret und der Vorsitzende des Weinheimer Alte-Herren-Verbandes (WAHV), Aute Bode, einen Vertrag über die Instandhaltung und die Bewirtschaftung der im Bau befindlichen Wachenburg im Falle einer Selbstauflösung des Verbandes. Danach sollte die Stadt Weinheim das Wachenburg-Erbe antreten. Ernsthaft dachte ein Jahr vor der Fertigstellung des Rohbaues und der feierlichen Einweihung der Burg, die Weinheim am 4. Mai 1913 zur Zweiburgenstadt machte, niemand daran, dass dieser Fall jemals eintreten würde. 27 Jahre später trat mit der (Zwangs-)Auflösung des Weinheimer Verbandes Alter Corpsstudenten (WVAC), wie sich der WAHV seit 1928 nannte, was 1912 niemand für möglich gehalten hätte.
Bereits 1935 hatte sich der Weinheimer Senioren Convent (WSC), die Dachorganisation der 81 Weinheimer Corps an Technischen Hochschulen und Bergakademien, selbst aufgelöst. Denn auch die Hochschulpolitik wurde von den Gleichschaltungsgesetzen der National-sozialisten erfasst. Da der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) das alleinige Erziehungsrecht aller deutschen Studenten für sich beanspruchte, war ein verbindungsstudentisches Leben wie bisher unmöglich geworden. Deshalb der Beschluss: „Der WSC löst sich auf und stellt seine Corps dem NSDStB als Kameradschaften zur Verfügung“. Da nach der Selbstauflösung des WSC an einen Fortbestand des WVAC nicht zu denken war, stellte der WSC die Wachenburg „als Ehrenmal der gefallenen Kameraden und als lebendige Stätte studentischen Mannestums der NSDAP, insbesondere als Stätte der gemeinsamen Arbeit für den NSDStB und den NS-Dozentenbund, zur Verfügung“. Die Burg blieb aber im Besitz des WVAC.
Umstrittene Selbstauflösung
Auch der WVAC hielt dem politischen Druck nicht stand. Er löste sich am 20. Oktober 1935 ebenfalls auf und ging in Liquidation. Am 17. Mai 1936 wurde der Auflösungsbeschluss allerdings beim Amtsgericht Weinheim wegen formeller Verstöße gegen Satzung und Geschäftsordnung des WVAC angefochten. Der Gang der AH-Vereinigung des ehemaligen Corps Alemanniae Hannover vor Gericht wurde von den übrigen Alte-Herren-Verbänden der früheren WSC-Corps unterstützt. Das Amtsgericht Weinheim lehnte jedoch die Aufhebung des Auflösungsbeschlusses ab, da die Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien. Als Berufungsinstanz erklärte dagegen am 12. Mai 1937 die 3. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim den Auflösungsbeschluss für nichtig. Damit bestand der WVAC als eingetragener Verein wieder zu Recht.
Als die „Führer“ – Vorsitzende gab es im nationalsozialistischen Sprachgebrauch seit Einführung des Führerprinzips nicht mehr – der waffen-studentischen AH-Verbände 1938 die Aufgabe ihrer Selbständigkeit und die Eingliederung in den NS-Alte-Herren-Bund Deutscher Studenten bekannt gaben, wurde das in Weinheim als Liquidation des WVAC gewertet. Doch der WVAC berief sich auf das Mannheimer Urteil von 1937. Nicht mehr lange allerdings: am 28. Mai 1938 wurde auch der WVAC zwangsweise aufgelöst. Durch geschicktes Taktieren konnte der Liquidator, der letzte WVAC-Vorsitzend Landesbaurat Carl Blumenthal (Alemanniae Hannover), die Übergabe der Wachenburg an die Stadt Weinheim noch bis Ende 1939 hinauszögern. Im Vereinsregister des Amtsgerichts Weinheim wurde der WVAC am 6. Mai 1940 gelöscht.
Weinheim wird Burgherrin
Die notarielle Übergabe der Wachenburg ins Eigentum der Stadt Weinheim erfolgte am 20. Dezember 1939 im großen Saal des ein Jahr zuvor von der Stadt erworbenen ehemals Gräflich von Berckheim’schen Schlosses, dem heutigen Bürgersaal. Landesbaurat Blumenthal, der wegen der „Preisgabe der Burg“ aus den eigenen Reihen heftig angegriffen wurde, sah die „von Wehmut erfüllte“ Übergabe der Wachenburg und des übrigen Vermögens des WVAC an die Stadt Weinheim als Erfüllung des 19112 geschlossenen Vertrages an und wünschte sich von der Stadt „eine treue Wacht über unsere Burg“: „Das Herz der Angehörigen unseres Verbandes hängt an jedem Stein“.
Weniger bewegt bewertete Weinheims neuer Bürgermeister Dr. Reinhold Bezler den Tag der Übergabe, an dem auch der badische Ministerpräsident und Weinheimer Ratsherr Waltrer Köhler, Professor Arthur Wienkoop (Darmstadt), Erbauer der Burg und Weinheimer Ehrenbürger, und der frühere Weinheimer Oberbürgermeister Joseph Huegel, selbst Weinheimer und Kösener Corpsstudent, teilnahmen : „Sie alle, meine Herren vom WSC, trennen sich zweifellos schweren Herzens von dem, was Ihnen einst lieb und teuer war. Sie söhnen sich aber aus, weil Sie wissen, dass der Geist des WSC und der alten Studentenschaft kraftvoll weiter lebt im National-sozialistischen Studentenbund“. Dr. Bezler übernahm die Wachenburg in Stadtbesitz mit dem Versprechen, „das Bauwerk zu erhalten und als Mahn- und Denkmal würdig zu verwalten“.
Ministerpräsident Walter Köhlerwurde deutlicher mit dem Hitler-Zitat: „Ich habe vieles nehmen müssen, was dem Volk lieb war“. Das sollte auch hier angenommen werden, denn „es geschah im Zuge einer größeren Idee“. Das Studententum könne „auch so an den großen Aufgaben mitarbeiten, die uns gestellt sind für ein großes und starkes Deutschland“.
Touristische Nutzung
Nach 1939 wurde die Wachenburg touristisch genutzt für Veranstaltungen der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF), für Parteiveranstaltungen der NSDAP, zeitweise auch von der Badischen Jägerschaftr. Die Götzfeier des TV 1862 Weinheim, ein Erinnerungsabend für den Turnerführer Dr. Ferdinand Götz am Vorabend des Himmelfahrtstages, war seit Burgbestehen eng mit der Wachenburg verbunden. Die Götz-Eiche vor dem Burgtor erinnert bis heute daran. Im Zweiten Weltkrieg waren Nachrichten-einheiten der Luftwaffe auf der Burg stationiert und auch die Amerikaner machten den Bergfried zur Funkstation. Die an der Bergstraße stationierte 84. US-Infanterie-Division, weltbekannt geworden durch die historische Begegnung mit der 32. sowjetischen Kavallerie-Division am 25. April 1945 auf der Elbebrücke in Torgau, malte ihr Abzeichen, die Schienen-spaltende Axt, weithin sichtbar auf den Turm, in den später Radio Wachenburg einzog.
Einstimmig für Rückgabe
Im August 1949 erfolgte die Wiedergründung des WSC. Am 8. Oktober 1949 restituierte sich auch der WVAC und erklärte, die Auflösungsbeschlüsse von 1935 und 1938 seien nicht rechtens erfolgt. Das sah man auch im Weinheimer Rathaus so, wo die WVAC-Bitte um Rückgabe der Burg auf offene Ohren stieß. Noch 1949 begannen Verhandlungen zwischen städtischen und studentischen Kommissionen über die Neufassung der Verträge zwischen WVAC und Stadt. Weinheim schied aus dem Erbpacht-vertrag mit Leutershausen aus.
Am 12. April 1950 diskutierte der Gemeinderat die Ergebnisse der Vertragsgespräche, bei denen auch die Vorbehalte gegen das Farbentragens und die Mensuren diskutiert worden waren. Vor allem die beiden KPD-Stadträte Leonhard Seib und Peter Arz hatten die Befürchtung geäußert, „dass die alten Zeiten wiederkehren“. Auch aus den Worten von Oberbürgermeister Rolf Engelbrecht war Skepsis herauszuhören, als er darauf hinwies, dass man es nicht mit den aktiven Corps zu tun habe, sondern mit dem Verband der Alten Herren. Man hoffe, dass der alte Geist nicht zurückkehre. Karl Mantz, der Vorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion, teilte die Meinung, „dass die alten Formen des studentischen Zusammenlebens nicht mehr in unsere Zeit passen“.
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Wieder Studenten in der Stadt
Die erste Weinheim-Tagung nach dem Zweiten Weltkrieg fand vom 18. Bis 21. Mai 1950 statt. Sie wurde am Himmelfahrtstag eingeleitet mit einem Begrüßungsabend und Gästen aus Schweden, Italien, Frankreich und der Schweiz im Hotel „Pfälzer Hof“ und hatte ihren Höhepunkt im Festakt zur Rückgabe der Wachenburg am 19. Mai im Bürgersaal des Rathauses. Den bedeutenden Tag beendete ein Gesellschaftsabend in der Stadthalle. Mit der Feierstunde am Ehrenmal auf der Burg, der Tagung der Alte-Herren-Verbände, dem Festkommers im Fahnensaal und dem Fackelzug von der Burg zum Marktplatz mit dem Großen Zapfenstreich als Abschluss belebte die Tagung traditionelle Veranstaltungen. Die Unterbringung mehrere tausend Studenten erfolgte damals in Privatquartieren und vor allem in Massenlagern in den Schulturnhallen.
Tag der Wiedergutmachung
„Selten ist es uns Menschen möglich, zugefügtes Unrecht wiedergutzumachen“, sagte Oberbürgermeister Engelbrecht beim Festakt zur Rückgabe der Wachenburg, an dem auch Charles Zecca als Vertreter der Alliiierten Hohen Komission in der Bundesrepublik Deutschland teilnahm. Die Rückgabe sei Wiedergutmachung und zugleich Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit. Die Mehrzahl der Bürger Weinheims und mit ihnen sein Amtsvorgänger Joseph Huegel hätten 1938 die Zwangsauflösung des WVAC bedauert und die Übernahme der Burg lediglich als treuhänderische Maßnahme angesehen. Als das NS-System zusammengebrochen war, habe für die Stadtverwaltung festgestanden, dass die Wachenburg in irgendeiner Form wieder jungen Akademikern zur Verfügung stehen müsse.
Der Oberbürgermeister verhehlte allerdings nicht, „dass der gesamte Gemeinderat der Stadt Weinheim und ich selbst es als nicht richtig halten würden, wenn die jetzt im Studium stehende Generation und künftige Generationen von Studierenden all das wiederaufnehmen würden, was seinerzeit für das studentische Korporationsleben an deutschen Universitäten und Hochschulen kennzeichnend war“. Nach Engelbrechts Meinung sollte „alles vermieden werden, was eine standes- und klassenmäßige Abtrennung vom Korporativen zum freien Studenten und darüber hinaus von jungen Arbeitern, Angestellten oder sonst in der Ausbildung begriffenen jungen Menschen herbeiführt“. Als Zeichen der Spaltung wertete der Oberbürgermeister in seiner kritischen Ansprach das Farbentragen und die Mensuren.
Offene Burg
Als Sprecher des Verbandes unterstrich WVAC-Vorsitzender Weizsäcker vor allem die Dankbarkeit der Studenten für die Rückgabe der Wachenburg. Sie komme auch in den neuen Verträgen mit der Stadt zum Ausdruck, denn die frühere Bestimmung, dass niemand anders als der Verband und seine Mitglieder die Burg nutzen dürfen, gebe es nicht mehr. Künftig könnten auf der Wachenburg auch wissenschaftliche, kulturelle und ähnliche Tagungen abgehalten werden. Auch der Verband schließe sich nicht von der Öffentlichkeit aus.
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