Stadtgeschichte: Weinheim war einmal eine Weinbaugemeinde

Auf ein Viertele „Weinheimer Schlossgarten”

Die Gräflich von Berckheim’sche Schlossgärtnerei. Darüber sind die Häuser an der Freudenbergstraße zu sehen und die Bebauung an der Schlossgartenstraße. Bildmittelpunkt: die große Zeder.
Die Gräflich von Berckheim’sche Schlossgärtnerei mit den Gebäuden des Rentamts (rechts). Darüber die Häuser an der Freudenbergstraße, am oberen Bildrand die Bebauung an der Schlossgartenstraße. Im Bildmittelpunkt die große Zeder. Bilder: WN-Archiv.

von Heinz Keller

Weinheim. Auch wenn sich der Stadtname nicht vom Wein ableiten lässt, weil Weinheim als  Winenheim das Heim des fränkischen Stammesführers Wino und seiner Sippe war, ist Weinheim bis heute ein „Heim des guten Weines”. Vor 200 Jahren war Weinheim – die Weinleiter im Stadtwappen steht dafür – eine Weinbaugemeinde mit über 200 Hektar Rebfläche zu beiden Seiten von Bahnhofstraße, Friedrichstraße, Luisenstraße, Moltkestraße und auch der Lützelsachsener Straße, denn zur Anlage des Schlossparks kaufte Auguste Gräfin Waldner von Freundstein, verwitwete Freiin von Berckheim und Schöpferin des Stammguts Berckheim, neben Obstgärten auch Weinberge in der Nachbarschaft des Schlosses.

Diese Lagen galten als vorzügliche Weinanbaugebiete. Nicht ganz so hoch wurden – im Gegensatz zu heute – damals die Weine von Hubberg und Judenbuckel eingeschätzt und auch was am Wachenberg und am Geiersberg wuchs, galt nicht so viel, aber immer noch mehr als die Frucht der Rebstöcke, die an der Bergstraße, in der Zimmerbach, am Schlossberg oder am Drachenstein standen. Noch 1900 hatte Weinheim eine Weinanbaufläche von 136 Hektar, nach der Bebauung von Schlossgarten und Wüstberg blieben knapp 6 Hektar Weinberge am Hubberg, am Langgassenweg, im Kisslich und im Hausacker übrig, von denen inzwischen weitere Flächen bebaut wurden, so dass aktuell nur noch 3,43 Kernstadtgebiet von Reben bestanden sindektar . Mit der Gemeindereform hat sich das Weinanbaugebiet Weinheims wieder vergrößert und umfasst nun wieder 52,31 Hektar Rebfläche: Kernstadt 3,43 ha, Sulzbach 3,52 ha, Lützelsachsen 22,84 ha, Hohensachsen/Ritschweier 22,52 Hektar.

Reben verschwanden, Erinnerungen blieben

Wohnbauten haben in der jüngeren Vergangenheit die Rebstöcke verdrängt. Mit den Weinbergen verschwanden auch Lagenbezeichnungen wie Weinheimer Schlossgarten oder Weinheimer Wüstberg, dessen Restfläche heute die kleinste Lage der Großlage Weinheimer Rittersberg ist. Noch vor einigen Jahren konnten Norwegen-Reisende den Riesling vom Wüstberg auf der Weinkarte eines Hotels in Lillehammer finden, allerdings mit dem Druckfehler „Weinheimer Würstberg”. Der Wein war in der Gräflich von Berckheim’schen Schlosskellerei ausgebaut worden, die Dr. Philipp Graf von Berckheim nach dem Ersten Weltkrieg zusammen mit der Schlossgärtnerei eingerichtet hatte.

Philipp von Berckheim

1919 hatte der zweitgeborene Sohn von Siegmund und Adolfine von Berckheim die Leitung des Stammguts in Weinheim übernommen, nachdem sein älterer Bruder Egenolf 1915 als Kapitänleutnant und Kommandant von U 26 in der Ostsee gefallen war. Nach dem Jura-Studium und der Promotion war Philipp von Berckheim im diplomatischen Dienst des Reiches tätig: bei der deutschen Botschaft in Paris, beim Generalkonsulat in San Franzisco, bei der Botschaft in Washington und zuletzt als Kaiserlicher Legationssekretär in Wien. 1916 wurde Dr. von Berckheim dem Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Großen Hauptquartier in Spa zugeteilt, bei Kriegsende wurde er Mitglied der deutschen Waffenstillstands-Kommission in Versailles. Nach der Annahme des Friedensvertrags nahm Philipp von Berckheim seinen Abschied und kehrte nach Weinheim zurück.

Große Weine

Etikett: 1. Staatspreis 1958 für eine Riesling-Spätlese vom Hubberg.
Eine Erinnerung an die Gräflich von Berckheim’sche Schlosskellerei und einen ihren größten Erfolge, den 1. Staatspreis 1958 für eine Riesling-Spätlese vom Hubberg. Repro: Stadtarchiv

Der Graf widmete sich dem Wein-, Obst- und Gemüseanbau, mit deren Erträgen er die Mittel zu erwirtschaften hoffte, die die Erhaltung der großen Schlossanlage erforderte. Dazu gründete er im Schlosskeller die Kellerei und westlich des Schlossparks die Schlossgärtnerei, die von Paul Zehender und Tasso Dimitroff geleitet wurde und sich schnell einen guten Ruf erwarb. Die Gärtnerei musste dann aber einen 1,2 Hektar großen Teilbereich zur Anlage eines Weinbergs abtreten, auf dem später der populäre „Weinheimer Schlossgarten“ reifte. Er gehörte, neben Hubberg und  Wüstberg, zu den preisgekrönten Weinen, die noch in den 1970er Jahren bei festlichen Weinproben mit dem Singenden Kellermeister Hans Todt im Schlosskeller präsentiert wurden. Der weltberühmte Zirkus Sarrasani feierte in Weinheim die Weltpremiere seiner Jahresprogramme und stieß im Schlosskeller mit allen Artisten darauf an. Rentamtmann Ernst August Schultz sah’s mit Freude.

Der letzte Berckheim

Beim Verkauf des Schlosses an die Stadt Weinheim am Jahresende 1938 blieben Kellerei und Gärtnerei im Besitz der gräflichen Familie, neben Mausoleum, Windeck und Exotenwald. Vom Rentamt im Schlossgarten aus verwalteten Karl Schretzmann und Sergius von Chrustschoff mit ihren Mitarbeitern den damals noch ausgedehnten gräflichen Grundbesitz mit Weinbergen, Obstanlagen, Waldungen und Hofgütern an der Bergstraße, im Gorxheimer Tal und im Weschnitztal. 1971 verkaufte Constantin Graf von Berckheim den Schlossgarten. Mit dem Tod seines Sohnes Constantin Christian endete 2018 die Geschichte der aus dem Elsass stemmenden Familie von Berckheim, die 1900 in den Grafenstand erhoben wurde und 180 Jahre im Weinheimer Schloss lebte, es zuletzt aber nur noch gelegentlich besuchte. Constantin Christian von Berckheim wurde fast 61 Jahre alt. Er fand seine letzte Ruhestätte nicht im Mausoleum seiner Familie im Weinheimer Schlosspark, sondern auf Schloss Werenwag im Oberen Donautal, das zum Besitz der Fürsten von Fürstenberg gehört, der Familie seiner Mutter Prinzessin Sophie Antoinette (Netti) von Fürstenberg. (2020)

Schlossgarten mit blühenden Obstbäumen.
Auch im Schlossgarten standen im Frühjahr die Obstbäume in voller Blüte.

1.253 Jahre Weinheimer Weingeschichte
Abends um acht läutete die Weinglocke

Die Römer brachten die Reben an die strata montana, die Bergstraße. Es spricht einiges dafür, dass sie auch an Weinheims Hängen Rebstöcke pflanzten und ihre Südwestlage für den Weinanbau nutzten. Verbrieft ist der Weinanbau in Weinheim allerdings erst seit 1.253 Jahren: auf einer Lorscher Urkunde aus dem Jahre 767 wird bestätigt, dass eine Frau Adalind dem jungen Kloster einen Weinberg und zwei Morgen Ackerland in Weinheim geschenkt hat.

Der Weinanbau hatte im alten Weinheim stets eine besondere Bedeutung. 1721 gab es 176 Acker- und Weinbauern und 27 Küfer, 1834 besaß Weinheim stolze 579 Morgen Weinberge, die zum größten Teil im Besitz des Freiherrn von Babo, des Deutschen Ordens und der Karmelitermönche im heutigen Pfarrhaus von St. Laurentius waren.

Ein Kranz von Rebhügeln umgab damals die Stadt. Er begann in der Sulzbacher Grüb, zog über den Hirschkopf zum Forstweg und hinüber zum Dietersklingen, über den Schlossberg zu Zimmerbach, Taubenberg und Drachenstein. Aber auch im Hausacker, am Wüstberg und in der Hört wuchsen Weine bis zum Lützelsachsener Stephansberg.

Aus alten Berichten kann man erfahren, dass die Weinheimer Winzer hervorragende Weine ausbauten. 1834 wurde Weinheimer Wein vor dem Karlsruher Weingericht feierlich zum „besten Wein im badischen Land“ proklamiert.

Die Weinheimer Weingeschichte ist aber auch voll von Hiobsbotschaften, die die Winzer in Frostjahren trafen. 1063 erfroren alle Rebstöcke und 1346 mussten die Trauben hart gefroren geerntet werden. Der Wein daraus wurde wohl so sauer, dass man ihm den Namen „Ratsherr“ gab – warum auch immer. Auch 1485, 1492, 1493, 1520 und 1600 waren Jahre mit Missernten. Aber auch in der jüngeren Vergangenheit, in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren, richteten frostreiche  Winter im Weinbau und im Obstbau große Schäden an.

Doch es gab auch warme Winter. 1186 wurden schon im Mai die Trauben geerntet, 1630 wegen des Schwedeneinfalls dagegen erst im Januar. Der so spät gelesene Wein scheint aber so gut gereift zu sein, dass er eine Medaille erhielt. Von 1332 wird über eine so reiche Weinernte berichtet, dass die Fässer nicht ausgereicht hätten. 200 Jahre später gab es wohl wieder einen so großen Weinsegen, dass man die Fässer leerlaufen ließ und mit dem Wein des Vorjahres den „Speis“, den Mörtel, anrichtete. Vielleicht sind deshalb manche alten Häuser in Weinheim so schief, weil sie nur vom Weingeist zusammengehalten werden.

Auch 1775 war wohl ein reiches Weinjahr, denn der große Goethe erzählt von seiner Einkehr im „Güldenen Bock“ (heute Alte Post), dass an allen Ecken Weinfässer herumstanden und der Bock-Wirt sich dafür entschuldigte.

Natürlich hatte man auch in normalen Weinjahren im alten Weinheim die Möglichkeit, sich einen Schwips, sogar einen kräftigen Rausch anzutrinken. Man durfte sich allerdings nicht zu viel Zeit damit lassen, denn um 8 Uhr am Abend läutete in Weinheim die Weinglocke. Wer dann noch sitzen blieb, musste Strafe bezahlen. (2020)