Der Windeckplatz in der Weinheimer Hauptstraße und seine Geschichte.

Straßenszene: Hauptstraße am heutigen Windeckplatz.
Am heutigen Windeckplatz, zwischen der Eisenhandlung Jochim (links) und der Buchhandlung Dell stand eines der ältesten Häuser am früheren Steinweg. Bis zum Abriss 2006 diente es als Metzgerei, Woolworth-Filiale und Eis-Café. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

von Heinz Keller

Auf dem Grund, auf dem seine Ahnen gelebt und gearbeitet haben, bot Stadtrat und Metzgermeister Heinrich Pflästerer am 4. August 2012 seine „Woinemer Burger” an, als die Fertigstellung des zweiten Sanierungsabschnitts der Fußgängerzone auf dem neuen Windeckplatz gefeiert wurde. Der Platz, auf dem Bas Greth und Vetter Philp stehen, ist die Wiege der Metzger-Dynastie Pflästerer.

Im Güterverzeichnis für die Jahre 1886 bis 1890, das im Stadtarchiv verwahrt wird, ist Heinrich Pflästerer I. als Eigentümer eines zweistöckigen Wohnhauses mit angefügtem Schlachthaus, Wurstküche und Waschküche verzeichnet. 1902 wurde das Alter des Hauses auf 112 Jahre geschätzt. Mit Baujahr 1790 war es eines der ältesten Gebäude am Steinweg, der heutigen Hauptstraße. 2006 machte das zweigeschossige Gebäude mit den Gauben auf dem Dach und dem Durchgang zur Rückfront Platz für den heutigen Windeckplatz und den freien Blick aus der Fußgängerzone auf die Schlossbergbebauung und die Burgen.

Metzgerei, dann Wohlwert

Ob das Haus einst für eine Metzgerei erbaut wurde, ist nicht bekannt, doch spätestens seit 1886 wurde hier nachweislich geschlachtet und Wurst gekocht. 1928 gab Heinrich Pflästerers Sohn Karl die Metzgerei auf, das Haus wurde umgebaut und anstelle von Fleisch- und Wurstwaren wurden nun Artikel des täglichen Bedarfs angeboten. Am 28. September 1928 meldete der Baden-Badener Kaufhausbesitzer Robert Lipsky die Eröffnung einer Wohlwert-Verkaufsstelle an und gab damit dem Konzept des Einheitspreisgeschäfts in Weinheim einen Platz.

Die von Woolworth in Amerika begründeten, von Tietz (Kaufhof) unter dem Namen Ehape und von Karstadt unter Epa in Deutschland eröffneten Einheitspreisgeschäfte boten ein gemischtes, warenhausähnliches Sortiment in wenigen, aber einheitlichen Preisstufen (10 Pfennig, 50 Pfennig, 1,25 Mark) an. Die kleineren Einheitspreisgeschäfte gehörten zur Wohlwert-Handelsgesellschaft in Leipzig, einer Einkaufszentrale für selbständige Einheitspreisgeschäfte. Die Weinheimer nannten das neue Geschäft „Ehape“ oder nach dem Woolworth-Spitznamen „Die Woole“ auch „Wulle-Wulle“ oder einfach „de 95-Penning-Lade“.

Lipsky musste aufgeben

Robert Lipsky (1862-1930) und seine Frau Klara (1863-1941), die in Weinheim als Inhaberin der Wohlwert-Verkaufsstelle geführt wurde, waren angesehene jüdische Bürger Baden-Badens. Sie betrieben in der Langen Straße ein renommiertes Kaufhaus, das nach mehrfachem Besitzerwechsel heute als „Mode Wagener“ weiter besteht. Neben Weinheim hatten auch Kaiserslautern, Singen, Konstanz und Hanau Filialen von Lipsky. 1930 verstarb Lipsky, 1937 (1938 musste Klara Lipsky unter nationalsozialistischem Druck alle Geschäfte verkaufen.

Das „Neue Badener Tagblatt” meldete im Oktober 1938 den „Übergang” des Kaufhauses Lipsky „in arische Hände” und damit „den Verlust seines jüdischen Charakters”. Schon zuvor, am 31. Mai 1938, hatte die Mannheimer Parteizeitung „Hakenkreuzbanner” unter dem Titel „Wir weinen ihnen nicht nach” aus Weinheim berichtet: „Das als Filiale in Weinheim betriebene jüdische Geschäft R. Lipsky (Wohlwert) geht am 1.6.1938 in arische Hände über. Wir freuen uns, dass wiederum ein jüdisches Geschäft verschwindet und glauben den Zeitpunkt absehen zu können, an dem unsere Hauptstraße gänzlich judenfrei ist”.

Barth & Beck, dann Capri

Die Bronzefiguren auf dem Windeckplatz.
Als der Zeitungsverleger Heinrich Diesbach 2006 die Bürgermedaille erhielt, versprach er Weinheim eine Erinnerung an die Kultfiguren Bas Greth und Vetter Philp. Martin Hintenlang schuf die 232 Kilogramm schweren Bronzefiguren auf dem Windeckplatz.

Am 14. Juni 1938 meldeten die Weinheimer Kaufleute Friedrich Barth und Erwin Beck die Übernahme der Wohlwert-Verkaufshalle an, die bald den Namen Barth & Beck erhielt. Zur gleichen Zeit übernahm Karl Birkenmeier auf der gegenüber liegenden Straßenseite das jüdische Kaufhaus Geschwister Mayer und begründete mit seiner „Verkaufsstelle für Textilien und Hartwaren” die Geschichte des Kaufhauses Birkenmeier. Ab 1943 wurde Barth & Beck offiziell als Kaufhaus geführt. 1954 feierte „Das Haus für Alle” das 25-jährige Bestehen und bezog sich damit offensichtlich auf die (nicht erwähnte) Wohlwert-Eröffnung.

Friedrich Barth schied 1956 aus, Erwin Beck führte das Geschäft als „Zentral-Kaufstätte” weiter. 1958 wurde das Haus Hauptstraße 79 umgebaut und zum Jahresbeginn 1959 von den Brüdern Olinto und Giovanni Dall’Asta als „Eiscafé Capri” wieder eröffnet.

Damit entstand nicht nur eine Weinheimer Repräsentanz der allgemeinen Italien-Begeisterung sondern auch ein von der Weinheimer Jugend gern besuchter Tanzpalast. Als die Zeit der jugendlichen Tanzmuffel einsetzte, wurden die Räume zunächst von einem Verbrauchermarkt und schließlich von einem Geschenkhaus genutzt. (2012)

„Gradnaus” wie im alten Weinheim. Der Vetter Philp und die Bas Greth

Fast 90 Jahre waren sie Teil der Weinheimer Fastnacht: die „Bas Greth vum Mill” und der „Vetter Philp aus de Hinnergass”. Am 20. Januar 1929 wurden sie zum ersten Mal in der Bütt verkörpert, die auf der Bühne der Großen Karnevals-Gesellschaft Weinheim in der Festhalle „Pfälzer Hof” die Form von „Puhlscheppern” hatte. 2015 hatten Gerd Buchleiter und Monika Enzmann ihren letzten Auftritt als Vetter und Bas in der Bütt der „Weinheimer Blüten”.

Die Figuren der Bas aus der Müllheimer Vorstadt und des Vetters aus der Weinheimer Altstadt sind indes keine Schöpfungen der Fastnacht. Sie wurden am Jahresende 1927 in der Redaktionsstube des „Weinheimer Anzeiger” erschaffen, ihr Erscheinen wurde in der Silvesterausgabe angekündigt und am 2. Januar 1928 erblickte der Philp das Licht der Zeitungswelt, am 7. Januar die Greth. Fortan beschäftigten sich die Beiden mit lokalen Geschehnissen und kommentierten sie auf ihre Weise. Geschrieben wurden die Texte in Weinheimer Dialekt und bis in die Gegenwart sind dem Disput der beiden Symbole eines Menschenschlags, der das Herz auf der Zunge trägt und seine Meinung ohne Rücksicht auf die Etikette kundtut, die kernigen Ausdrücke erhalten geblieben, mit denen man sich früher gelegentlich „de Kimmel g’schleimt hot”.

Der Weinheimer Heimatschriftsteller Karl Zöller hat die beiden Figuren geschaffen und sie alle zwei Wochen einen gern gelesenen Lokalkommentar sprechen lassen, in dem der kritische Standpunkt ebenso beeindruckte wie der Einfallsreichtum und die Wortgebilde, die Zöller dem Weinheimer Dialekt entnahm. Vieles davon ist in den Jahren, da die Muttersprache nicht mehr gefragt war, leider verloren gegangen.

Karl Zöller hat die Bas und den Vetter am 1. März 1936 in den Zusammenschluss der beiden Weinheimer Zeitungen eingebracht. In den „Weinheimer Nachrichten” erschienen seine Beiträge bis zum 26. August 1939. Dann schwiegen auf Anordnung der NSDAP nicht nur die WN, sondern auch die Bas Greth und der Vetter Philp.

Schon im ersten Monat nach dem Wiedererscheinen der WN 1949 erstanden auch die beiden Figuren neu. Jetzt formulierte Konrektor Philipp Pflaesterer die handfesten Meinungen der beiden Lokalkommentatoren und auch bei ihm sagten sie in der Sprache der Müllemer und der Hinnergässer „gradnaus”, was sie vom Geschehen in der Stadt hielten. Zwischen dem 30. Juli 1949 und dem 13. Februar 1954 „dischkerierten” sie wieder, zunächst in regelmäßiger, später in lockerer Folge. Nach Philipp Pflaesterers Auswanderung nach Kanada fand sich niemand mehr, der die Reihe fortsetzte, wohl auch deshalb, weil es vielen nicht mehr als fein galt, den heimischen Dialekt zu sprechen. Das änderte sich erst wieder, als die „Weinheimer Blüten”, die 1954 das Erbe der Großen Karnevals-Gesellschaft antraten, die beiden Zeitungsfiguren wieder in die Bütt stellten.

Nach der Premiere von Vetter und Bas mit dem legendären GKG-Präsidenten Fritz Lang und Annel Westhöfer hatte es nur 1936 noch einmal eine Doppelbütt gegeben mit Lu Metzmacher und Hermann Langer, dem Nachkriegschef der kommunalen Polizei. 1951 ließ die Große Karnevals-Gesellschaft mit Fritz Lang, Otto Leppla, Fritz Geißinger, Otto Geyer und dem jungen Herbert Burkhardt die alte Sitzungstradition wiederaufleben. In den drei letzten GKG-Sitzungen 1951 bis 1953 standen Lu Metzmacher und Peter Kraft in den „Puhlscheppern”, die aus der Tradition übernommen worden waren. 1954 hörte die GKG auf und die „Weinheimer Blüten” wurden gegründet. Doch erst 1961 übernahmen sie die beiden handfesten Figuren in ihr Programm. Margarete Schilling und Helmut Böbel verkörperten sie. Nach drei Jahren Pause übernahmen 1965/66 Heidi Klemm und Heinz Groh die Rollen. Von 1967 bis 2011 spielte Bärbel Schmitt jahrzehntelang die Bas Greth und dafür erhielt sie den „Goldenen Löwen”, die höchste Auszeichnung der Vereinigung badisch-pfälzischer Karnevalsvereine. Ihre Partner waren, unterschiedlich lang, Heinz Groh, Günther Bischoff, Werner Berg, Heinz Lammer, Bernd Boxheimer und Gerd Buchleiter, der von 2012 bis 2015 mit Monika Enzmann in der Bütt stand.

(1999, 2020)

Der Vetter, die Bas „un die Leit”: „Isch krieg noch die Kränk!”

Die Bas vom Müll und der Vetter aus der Hintergasse: Bronzefiguren auf dem Weinheimer Windeckplatz (Detail).
Die Bas vom Müll und der Vetter aus der Hintergasse stehen für Mundartpflege, das freie Wort und den selbstbestimmten Bürger.

In der Silvester-Ausgabe 1927 kündigte Karl Zöller sein streitbares Paar mit dem Versprechen an, „dass mer uns fers neie Johr fescht entschlosse hawe, alle Dinge, die uns im Lewe begegne, unser gröschti Uffmersamkeit zu schenke”.

Den Weinheimer Alltag wollte Zöller glossieren, die kleinen und die großen Schwächen der „Leit”, aber auch das, was im Rathaus beschlossen und an den Stammtischen diskutiert wurde. Die Themen unterschieden sich nur wenig von den „Aufregungen“ unserer Tage:

„In unsere Zeit, wu Kuscht un Kultur in alle Tonarte gepredischt werre, wu vun de Schparbolitik bei Sekt un Woi am grüne Disch die Redd is, wu de Charleston den scheene, alde Walzer, un die Buwiköpp un Dauerwelle die schee Hoorfrisur bei unsre Damewelt vertreibt, wu die 5 cm hoche Stöckelabsätz un durchbrochene Strümp un weit ausg’schnitte Kleeder un Charleshose un Charleshüt in de Mode sinn, do wolle mer’s net unnerlosse, unser A’sichte übers Alldäglische uns Moderne in aller Gemütsruh zu beschpreche”.

In der ersten Ausgabe 1928 des „Weinheimer Anzeiger“ schrieb Zöllers Vetter Philp einen Brief an seine Bas Greth ins Müll. Darin ging es, neben Erinnerungen an die sehr viel bescheideneren Weihnachtswünsche der eigenen Kindheit, auch um Veränderungen im Stadtbild, die das alte Jahr gebracht hatte: „Lichtkandelawer uffm Marktplatz, Asphaltplaschter in de Grunnelbach, die Weschnitz zugemacht un a noch schee abg’sperrt, dass sich koaner meh die Fieß wäsche kann“.

Am Silvesterabend 1927 hatte den Vetter aber wohl auch die Erinnerung beschäftigt, „wie Weinem früher ausg’seh hott, wie’s Müllemer Tor noch g’stanne is, wie die Mischtheife uffm Sto’weg kockt war’n“. Und auch darüber, „wie des Weinem in e paar Johr aussieht“, hatte sich der „Hinnergässer“ seine Gedanken gemacht: „Wann des ganze Stroßeplaschter mit Asphalt üwerzoge is, wann’s do uffm Asphalt in de Erbsegass Glatteis gibt, wann mer vielleicht des Reichsehremal uff de Herschkopp nuff kriege sollte oder wann die Elektrisch am Marktplatz vorbeischnorrt“, wie es mit der Verlängerung der OEG-Linie über die Bahnhofstraße zum Dürreplatz ja durchaus einmal geplant war.

Im Antwortbrief der „Müllemer Greth“ an die „Sauerkrautwärmer“ in der Nordstadt verpackte Karl Zöller eine Woche später mehr von der aktuellen Kommunalpolitik. Dabei ging es um das Transformatorenhaus, das die Stadt als Vorbau zum Gasthaus „Zum Odenwald“ (heute Gartenwirtschaft der „Finkenburg“ an der Einmündung der Hauptstraße in die Grundelbachstrasse) plante und das „mit allerhand hygienische Ei’richtunge, die wu öffentlisch gebraucht werrn“ (mit einer öffentlichen Toilette), verbunden werden sollte. Ein bisschen giftig war sie in ihren Kommentaren schon, die Bas Greth, wohl auch deshalb, „weil die Wünsch vun Eisch in de Stadt un de Vorstadt eher erfüllt werrn“.

„Derr, wie’n Gaasbock zwische de Hörner“ kehrte der Vetter Philp nach Krieg und Nachkriegsnot am 30. Juli 1949 in die „Weinheimer Nachrichten“ zurück. Im ersten Beitrag nahm sich Philipp Pflaesterer, der neue Autor, den Ärger der Weinheimer („isch krieg noch die Kränk!“) über die Kosten der von der Stadt angeordneten Ungeziefer-Spritzung der Obstbäume vor.

Ob wohl die Amerikaner die „Lais un Käffer mit üwers Wasser gebrocht“ hatten, um die Demontage der deutschen Industrieanlagen zur Reduzierung des Produktionsniveaus „uff die Dur an unsere Obschtbääm durchzuführe?“, argwöhnte der Philp. Doch er ließ sich von seinem Freund Schorsch schnell belehren, dass mangelnde Obstbaumpflege im Krieg und in der Nachkriegszeit den Ungezieferbefall gefördert hatten, dass die Zwangsspritzung im Interesse des Bergsträßer Obstbaues notwendig war und die besseren Ernteerträge im nächsten Jahr die Kosten der Spritzung sicher mehr als ausgleichen werden.

Ein Thema vom 30. Juli 1949 ist freilich aktuell geblieben. Schon damals sorgten Importe aus Italien dafür, dass die Preise für Bergsträßer Obst rapide sanken: „Do kriegscht fer 10 Pund Quetsche noch net emol e Vertel Worscht!”. (2011)