Der Jahnplatz, ihr Spielplatz, wurde ihnen zum frühen Grab
von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Der Wehrmachtsbericht, die tägliche Nachrichtensendung des Großdeutschen Rundfunks zur militärischen Lage, ausgearbeitet von der Abteilung für Wehrmachtsporopaganda im Oberkommando der Wehrmacht (OKW),, beschäftigte sich am 7. August 1941 ausführlich mit dem Sieg in der Schlacht von Smolensk, mit U-Boot-Schlägen gegen die britische Versorgungs-Schifffahrt und mit Luftangriffen auf Zobruk und Marsala Matruk. Am Ende stand auf einer Fünfzeilen-Meldung: „Der Feind warf in der letzten Nacht an verschiedenen Orten West- und Südwestdeutschlands Brand- und Sprengbomben. Die Zivilbevölkerung hatte einige Verluste an Toten und Verletzten. Nachtjäger und Flakartillerie schossen fünf britische Bomber ab“.
Diese Nachricht betraf auch Weinheim, denn 200 Brandbomben wurden über dem Werk Freudenberg abgeworfen. Sie richteten verhältnismäßig wenig Schaden an. Am 23. August 1941 fielen erneut Brand- und Sprengbomben auf Weinheim. Drei Fliegerbomben explodierten an der Adolf-Hitler.Straße (seit 1945 wieder Nördliche Hauptstraße) und an der Birkenauertalstraße. Siue töteten zwei Menschen und zerstörten die Häuser.
Ein zweites Mal wurden die vom alliierten Luftkrieg verschonten Weinheim am 30. Dezember 1943 aufgeschreckt, als die Reste einer „Fliegenden Festung“, eines beim Luftangriff auf Mannheim von der Flak getroffenen und schließlich über Birkenau herunter gefallenen schweren viermotorigen Bombers der US-Luftstreitkräfte, im Gartengelände zwischen Bergstraße und Juxplatz niedergingen.
Der 16. Februar 1945
Entsetzen und Erschütterung erfasste die Weinheimer am 16. Februar 1945. Gegen 15.45 flogen amerikanische Jagdbomber von Süden auf Weinheim zu, strichen mit den schnellen Maschinen über den Geiersbergkopf und stürzten auf den Prankel herab. Der Weinheimer Güterbahnhof war wohl ihr Hauptziel, doch zwei Bomben schlugen bereits auf dem Jahnplatz (heute Wohnbebauung Carl-Diem-Straße) ein. Sie töteten den 50jährigen Paul Piche, einen französischen Kriegsgefangenen aus dem Lager auf dem Jahnplatz und die vier Buben Hanspeter Burger (14 Jahre), Rudi Sauer (13), Claus Ernst Glock (11) und Hermann Philipp Gumb (8).
Die Buben waren auf dem Schulweg, als Fliegeralarm sie wieder nach Hause schickte. Auf dem Rückweg beobachteten sie die wegen ihres rücksichtslosen Bordwaffen-Gebrauchs von der Bevölkerung gefürchteten Jabos und waren wohl auf dem Weg zum schützenden Jahnplatz-Stollen, den die Anwohner tief in den Hang gebraben hatten. Die Buben erreichten den Stollen aber nicht mehr: sie wurden von den Bomben getroffen und schrecklich verstümmelt.
Paul Piche, Maschinenstricker und erfolgreicher Volksturner bei der Turngenossenschaft „Jahn“ 1878, deren Turnhalle auf dem Jahnplatz mit französischen Kriegsgefangenen belegt war, wurde in seinem Kleingarten auf dem Tafelacker tödlich getroffen, nahe dem kleinen Lager für sowjetische Kriegsgefangene. Ein französischer Kriegsgefangener, mit dem Ausputzen der großen Platanen an der Jahnstraße (heute Brückstraße) beschäftigt, starb auf dem Baum. Ein zweiter Franzose konnte gerade noch vom Baum springen und sich im abgedeckten Splittergraben in Sicherheit bringen, den sich die französischen Kriegsgefangenen gebaut hatten.
Am 21. Februar 1945 wurden die vier Buben und Piche zur letzten Ruhe bestattet. Doch auch sie blieb nicht ungestört, denn während der Trauerfeier und Beisetzung kreisten Tiefflieger über dem Friedhof. Margarethe Burger (1900-1987), die Mutter von Hanspeter Burger, schrieb in ihr Tagebuch: „Als wir noch an der Leichenhalle standen und warteten, dass man unseren Buben hinaus zu seiner letzten Ruhestätte tragen würde, flogen Feindflieger ganz dicht über die Halle. Und obem am Grab bei den Beisetzungsfeierlichkeiten kreisten Tiefflieger. Die Leute verkrochen sich hinter den Grabsteinen und gingen unter den Bäumen des Friedhofs in Deckung. Deshalb konnten wir von unserem Buben gar nicht richtig Abschied nehmen, sondern mussten uns von seinem Grab fortstehlen“.
Dem Jagdbomberangriff auf den Jahnplatz folgten zahlreiche weitere Attacken auf den nahen Güterbahnhof, auch auf einen unter der OEG-Brücke stehenden Lazarettzug und auf Menschen, die in ihren Gärten oder auf dem Acker arbeiteten. Dabei fielen immer wieder Bomben, es starben Menschen und im Prankel gab es Gebäudeschäden. 35 deutsche Soldaten, so schrieb es Margarethe Burger in ihr Tagebuch, sind in den letzten Tagen bei Kämpfen um Weinheim gefallen. Zahlreiche schlichte Steinkreuze erinnern auf dem Weinheimer Hauptfriedhof an den Tod von Frauen und Kindern aus Weinheim, die Opfer von Tieffliegern wurden.
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