1969: Im „Ersten Haus am Platz” gingen die Lichter aus

Der „Pfälzer Hof” hatte im Baedecker einen Stern

Pfälzer Hof mit Steinerner Brücke (historische Postkarte, schwarz-weiß)
Mit dem Ausbau der Bergstraße erhielt Weinheim in der Mitte des 19. Jahrhunderts die „Steinerne Brücke”. Sie ersetzte die Weschnitzfuhrt aus der Alten Postgasse in die Landstraße nach Frankfurt und den „Bocksteg”, eine Fußgängerbrücke zwischen der Nordstadt und der Alten Post, die ursprünglich ein Gasthaus war und „Zum güldenen Bock” hieß. Bild: Stadtarchiv

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Am 1. Oktober 1969 gingen im Hotel „Pfälzer Hof” die Lichter aus. Man hatte in Weinheim zwar schon eine Weile damit gerechnet, aber als Hotelier Edgar Obrecht, der letzte Pächter, den Schalter endgültig drückte, ging ein bedeutendes Stück Weinheimer Hotelgeschichte zu Ende, aber auch ein wichtiges Kapitel in der jüngeren Stadtgeschichte.

Ende der Stadtdurchfahrt

Es führte zurück in die Zeit, als die alte, ungepflasterte und zum Feldweg verkommene „Commercial- und Poststraße” westlich der Stadt 1833 zur Hauptverkehrsader Weinheims erklärt, ausgebaut und 1839 für den Verkehr freigegeben wurde. 30 Jahre zuvor hatte Großherzog Karl Friedrich von Baden den seit 1771 beständig darauf drängenden Weinheimern „gnädigst” gestattet, die von Heidelberg kommenden Kutschen und Lastfahrzeuge am Rosenbrunnen abzuleiten und durch die Innenstadt zu führen. Stattliche 36.000 Gulden ließ sich die Stadt die Pflasterung der Stadtdurchfahrt damals kosten. Das sollte umsonst gewesen sein? Erbittert, explosiv, letztlich aber vergebens kämpften die an der Innenstadt-Route liegenden und an den durchfahrenden Post- und Lohnkutschen gutverdienenden Gastwirte und Kaufleute gegen die Zurückverlegung der alten Fernverbindung Frankfurt-Heidelberg an den westlichen Stadtrand. 500 Bürger unterzeichneten eine Petition gegen die Straßenverlegung und warnten vor den ruinösen Folgen der Entscheidung des Staatsministeriums. Doch bei der großherzoglichen Wasser- und Straßenbaubehörde hatte sich inzwischen die Meinung vertieft, dass es 1804 nicht richtig war, „das Interesse eines kleinen Ackerbau treibenden Landstädtchens über höhere Rücksichten zu setzen”: die Interessen der staatlichen Post, des Handels und des allgemeinen Verkehrs. Ute Grau und Dr. Barbara Guttmann, die Autorinnen der Weinheimer Stadtgeschichte von 2008, zitieren aus den Akten des Generallandesarchivs auch den Direktor der Wasser- und Straßenbaubehörde, Johann Gottfried Tulla, rückblickend mit seiner Aussage in einem Vortrag beim Innenministerium, „dass bei genauer Würdigung des Zwecks dieser Straße die Stadt Weinheim mit ihren unbescheidenen Wünschen hätte abgewiesen werden sollen”.

Neue Chancen an der „Chaussee”

Ab 1839 fuhren die Kutschen wieder auf der Bergstraße, schneller und bequemer als über den steilen Marktplatz und die enge Hauptstraße. Und an der „Chaussee”, wie die Weinheimer die ausgebaute Landstraße nannten, eröffneten sich neue Chancen. Heinrich Hübsch, der große badische Baumeister, errichtete 1840 für seinen Bruder an der Steinernen Brücke einen neuen Posthof. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erwarb Bäckermeister Simon Spitz zur gleichen Zeit das Eckgrundstück bei der Einmündung der Birkenauertalstraße, auf dem heute die Stadthalle steht. Spitz war, so berichtet Hans Peter Herpel in seinem Buch „Weinheims historische Gastwirtschaften” (Weinheimer Geschichtsblatt 30/1990), der Wirt des Gasthauses „Zum Badischen Hof”, das sich damals bei der Peterskirche befand. Nach dem Ausbau der Landstraße  sah er an der Alten Postgasse keine Zukunft mehr, verkaufte den „Badischen Hof” und plante bei der Steinernen Brücke ein Wohnhaus mit Gastwirtschaft und Hotelbetrieb.  Das neue Haus sollte „Zur Bergstraße” heißen, 30 Fremdenzimmer und einen Speisesaal erhalten. Spitz rechnete mit 20.000 Gulden Baukosten, die aber offensichtlich nicht ausreichten für das ehrgeizige Projekt.  Der „beinahe fertige Bau” musste zwangsversteigert werden.

Hotel und Wasserheilanstalt

Werbung für die Wasserheilanstalt Pfälzerhof
Werbung für den „Pälzer Hof“

Philipp Jacob Reiffel erwarb den Rohbau 1842 für 22.000 Gulden und vollendete ihn, zusammen mit seiner vermögenden Frau, zum „Hotel Pfälzer Hof und Wasserheilanstalt“. Die heilende Kraft des Wassers ging wohl nicht über Kneipp’sche Anwendungen hinaus. Die „Heilquelle“ entsprang am Bennweg und ihr Wasser wurde, Werbung für den „Pälzer Hof“ teilweise in Holzrohren, über das damals noch unbebaute Gebiet der heutigen Wilhelm-, Johannis- und Paulstraße zum „Pfälzer Hof“ geleitet. Die Bennweg-Quelle speiste im Hotelgarten auch einen Springbrunnen.

Simon Spitz wanderte 1847 ohne seine Familie nach Amerika aus und starb 1848 in St. Louis. Seine Witwe Anna Margarethe Spitz, geborene Keßler, starb 1857 in großer Armut bei ihrem Bruder in Mannheim.

Erstes Haus am Platz

Philipp Jacob Reiffel erweiterte die Hotelanlage 1883 um den legendären „Kleinen Saal“ mit der reizvollen Stuckdecke und den eleganten hohen Fenstern nach Süden, und 1885 um eine Gartenhalle, die 200 Gästen Platz bot. Der „Pfälzer Hof“ galt bald als eine der besten Adressen an der Bergstraße. Überschwänglich schilderte die „Allgemeine Gasthof-Zeitung für Gastwirthe, Reisende und Freunde der Tafel“ das Weinheimer Hotel: „Von draußen wie ein kleines Lustschloss, von innen wie ein Schmuckkästchen, ein Hotel, das der Stadt Weinheim zur Zierde und dem Eigenthümer zur Ehre gereicht, ein Hotel, wo man vortrefflich isst, vortrefflich trinkt, himmlisch wohnt und göttlich schläft“.

Ein Baedeker-Stern

1870 erhielt der „Pfälzer Hof“ einen Stern im „Baedeker“, dem seit 1832 erscheinenden, bis heute beliebten und geschätzten Reiseführer. 1902 brachte der Leipziger Verlag die 29. Baedeker-Ausgabe unter dem Titel „Rheinlande von der Schweizer bis zur holländischen Grenze“ heraus. Die Route 3 dieser Ausgabe beschrieb die Bergstraße zwischen Frankfurt und Heidelberg. Erste Weinheim-Information im Baedeker war der Hinweis auf die „drei wichtigsten Gasthäuser“: „Pfälzer Hof“ (Reiffel), altbekanntes Haus mit großem Garten, 36 Zimmer zu 1½ bis 2 Mark, 2 Personen 4½ bis 5 Mark, „Vier Jahreszeiten“ in der Stadt, „Prinz Wilhelm“ am Bahnhof. 123 Jahre später besteht keines der einst führenden Häuser Weinheims mehr: auf dem Areal des „Pfälzer Hof“ und seiner Festhalle steht heute die Stadthalle, in den Mauern der „Vier Jahreszeiten“ ist das Kaufhaus Birkenmeier gewachsen (heute Weinheim-Galerie) und das Hotel „Prinz Wilhelm“ wurde erst Finanzamt und ist heute das Dienstgebäude des Polizeireviers Weinheim.

Nach Philipp Reiffels Tod führte seine Witwe den Betrieb bis in die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und übergab ihn dann ihrem Sohn Heinrich Reiffel.

Weinheims Tanzpalast

„Pfälzer Hof“ mit dem Kleinen Saal
Vor 50 Jahren verschwand, von vielen bedauert, das Hotel „Pfälzer Hof“ mit dem Kleinen Saal (Bildmitte) aus dem Stadtbild, das es 133 Jahre mitgeprägt hatte. Bild: WN-Archiv/Kopetzky

Weinheims gesellschaftliche Veranstaltungen, vor allem die der ältesten Vereine Casino-Gesellschaft 1812, Singverein 1842 und Schützengesellschaft 1860 fanden im „Pfälzer Hof“ statt. Nach dem Ersten Weltkrieg und den Inflationsjahren wurden hier die „Goldenen Zwanziger“ gefeiert, der Kleine Saal im „Pfälzer Hof“ wurde zu Weinheims Tanzpalast. Dabei erwies sich der „Kleine Saal“ oft als zu klein für größere Veranstaltungen. Eine Festhalle musste her! Weil der städtische Etat nach den vielen Notjahren dafür aber nichts erübrigen konnte, wurde das Projekt einer privaten Festhalle zu einem Wettstreit zwischen zwei Vettern. Regierungsrat Theodor Weisbrod wollte sie in den großen Garten zwischen seinem „Badischen Hof“ an der mittleren Hauptstraße und der heutigen Dürrestraße stellen, sein Cousin Heinrich Reiffel hatte Baupläne beim „Pfälzer Hof“. Die bessere Lage entschied 1927 für Reiffel, aber die Festhalle „Pfälzer Hof“ wurde zum Schicksal des Hauses und seiner Besitzer: das Projekt ging über die Kraft der Familie, das Hotel musste zwangsversteigert werden und ging 1933 in den Besitz der Familie Essig über, die Festhalle war bereits 1931 von der Stadt Weinheim ersteigert worden. Hotelier Essig starb 1943 in einem Kriegslazarett.

Nach Kriegsende war der „Pfälzer Hof“ von 1946 bis 1950 Schulhotel der in Heidelberg ausgebombten Hotelfachschule und wurde erst nach der Rückkehr der Schule nach Heidelberg wieder im ursprünglichen Sinn genutzt. Im Kleinen Saal und auf der Treppe zum Restaurant erlebten am 4. Juli 1954 Hunderte von Fußballfans, eng gedrängt um einen kleinen Fernsehapparat, das „Wunder von Bern“, den 3:2-Erfolg der deutschen National-mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft.

Das Ende nach 130 Jahren

D1969 kam das Ende des renommierten Hauses, in dem sich 1934 der umstrittene Stabschef der SA, Ernst Röhm, als schlechter Gast erwiesen hatte, als er bei einem seiner gefürchteten Ausfälle mit der Pistole in die Decke seines Hotelzimmers schoss und bei seinem Abschied erhebliche Schulden hinterließ. Nach der Schließung des „Pfälzer Hof“ und dem Scheitern des gigantischen Kulturzentrums wurde geprüft, ob man das Hotelgebäude für die Stadtbibliothek nutzen könnte, wie es später mit der Diesterwegschule geschah. Doch die Bausachverständigen errechneten einen Bedarf von 1,3 Millionen DM für Sanierung und Umbau und das war dem Gemeinderat zu viel Aufwand für ein baufällig gewordenes Gebäude. Und so machte das einstige Vorzeige-Objekt der Stadt Weinheim 1975 Platz für die Neugestaltung des Eingangsbereichs zur Stadthalle. Im März wurden die Nebengebäude abgerissen, im Mai das Hauptgebäude.

(2025, © www.wnoz.de)

Viehmarkt, Tuchbleiche, Exerzierplatz der Stadtmiliz

Der Bauplatz mit dem Pfälzer Hof
Der Platz, auf dem bis 1975 das Hotel „Pfälzer Hof“ stand, war schon im 17. Jahrhundert als Bauplatz begehrt. Die Aufnahme aus den 1960-er Jahren ist ein Blick aus dem Hübsch’schen Posthof auf den „Pfälzer Hof“ und den 1956 an die Birkenauertalstraße verlegten Eingang der Stadthalle. Bild: Stadtarchiv

Der Bauplatz für den „Pfälzer Hof“ hat eine Vorgeschichte

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Simon Spitz war nicht der erste Bauinteressent an dem Gelände, auf dem er 1839 das Gasthaus „Zur Bergstraße“ errichten ließ, das zu einem unbekannten Zeitpunkt den Namen „Pfälzer Hof“ erhielt. Schon 150 Jahre zuvor gab es dort Bauinteressenten. Das hat Josef Fresin, der große alte Mann der Weinheimer Stadtgeschichte, beim Stöbern in den Ratsakten herausgefunden. Im Ratsprotokollbuch 13 entdeckte er Dokumente aus dem Jahr 1692, die sich mit dem Wunsch des Weinheimer Gastwirts Johann Meyer beschäftigen, eine neue Herberge zu errichten. Der Besitzer des Gasthauses „Schwarzer Adler“ (später Eisenhandlung Gunßer gegenüber der Peterskirche) hatte darum gebeten, „dass ihm ein Stück von dem gemeinen Allmendplatz jenseits des Bockstegs an der Landstraße zur Errichtung einer neuen Herberge mit Hofrecht unfern dem Gutleuthaus um billige Bezahlung überlassen werden möge“.

Der von Meyer angestrebte Bauplatz war Allmendgelände, also Gemeinbesitz der Weinheimer Bürger. Doch die Allmendweiden, an deren frühere Nutzung heute noch die Straße An der Kuhweide beim OEG-Haltepunkt Blumenstraße und die Kuhweid-Siedlung am Friedrich-Ebert-Ring erinnern, wurden offenbar nicht effektiv bewirtschaftet. Für die Allmendwiesen nördlich der Weschnitz hatte man, weil sie verkehrsgünstig an der Landstraße lagen, längst eine andere Nutzung gefunden, wie die behördliche Antwort auf den Kaufwunsch des Adler-Wirts belegt.

Zweimal besichtigten der Rat der Stadt und die Achter, die Vorsteher der acht Weinheimer Stadtviertel, das Gelände, auf dem heute die Stadthalle steht. Die Mehrheit der Räte und der Achter wollte nicht, dass hier ein Hotel entsteht. Im Antwortbrief an Meyer argumentierte die Stadtverwaltung: „Diejenigen, die allda herum begütert sind, würden an ihren Früchten und Gärten jederzeit großen Schaden leiden von dem alsdan gehaltenen Federvieh, was beständige Ungelegenheiten verursachen würde und wenn es auch versprochen würde, es zu verhüten, könnte es doch nicht verhütet werden“.

Die Angst vor dem Federvieh war allerdings nicht der einzige Grund, warum der Gemeinderat dem Bauwunsch des rührigen schwäbischen Metzgermeisters „nicht willfahren“ konnte. Höhere Interessen standen hinter der Absage: „Der an diesem Ort jährlich zweimal stattfindende Viehmarkt, entsprechend den Jahrmarktsprivilegien, der der gnädigsten Herrschaft nicht wenig Markt- oder Standgeld einbringt, abgesehen von dem Zoll, wäre gesperrt. Das Vieh, das meist in großer Qualität hierher kommt, muss notwendig am ersten Tag an einen Platz am Wasser gehalten werden. Dieses könnte dann wohl nicht mehr an den gleichen Platz gebracht werden. Dadurch würden solche jährlichen Viehmärkte „verstümpelt“ und das herrschaftliche Interesse geschädigt“.

Der Adler-Wirt wurde in dem städtischen Bescheid auch daran erinnert, dass das Weschnitzufer eine „gemeine Tuchbleich“ sei, auf der seit altersher die Stadtmiliz exerzierte. Ein Hotelbau an dieser Stelle würde den Bürgern außerdem die Ein- und Ausfahrt der Landstraße in den Odenwald beschwerlich machen, meinten Räte und Achter und wiesen noch darauf hin, „dass bei Aus- und Abmärschen der Kriegsvölker“ die Artillerie an diesem Ort zum Kampieren aufgestellt wird. Schließlich erinnerte die Stadtverwaltung daran, „dass bei großen Wassermassen oder bei Anlaufen der Weschnitz das Ufer Schaden leiden“ würde, so dass die Aus- und Einfahrt nicht genutzt werden könne.

Aus diesen Gründen befanden Räte und Achter, die Gemeinwiesen sollten „im alten Stand belassen werden“ und Johann Meyer solle sich „mit seiner vor kurzem aufgerichteten Herberge“, dem „Schwarzen Adler“, begnügen. Sollte er aber diesseits oder jenseits der Landstraße einen „der Gemeinde unnachteiligen“ und den Ablehnungsgründen „nicht zuwiderlaufenden Ort“ für sein Vorhaben bekommen, „wäre ihm wohl zu gönnen“.

Auch Philipp Beyer wollte an der Landstraße (heute Bergstraße) eine neue Herberge errichten, aber wohl an der Stelle, auf der heute die Herz-Jesu-Kirche steht. Auch er erhielt eine Ablehnung: „Weil das Interesse der gnädigsten Herrschaft hier mitspielt und weil bereits einige sich zum Bauen in selbiger Gegend angemeldet haben, so soll keinem der Platz überlassen werden“.

(2025, © www.wnoz.de)